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Das
Talentungeheuer aus Neubrandenburg
(Betrachtungen
über „Luise Mühlbach“, eine bemerkenswerte Chronistin der kleinen
Stadt Penzlin)
Es ist anerkennenswert, daß sich wenigstens ein Penzliner, Günter
Montkowski, der heute so gut wie unbekannten Luise Mühlbach
erinnerte. Doch sicher
nicht nur Penzliner werden, aufmerksam gemacht durch den Untertitel
eines Artikels im Anzeigenkurier:“ Penzlinerin schrieb ein Kapitel
Literaturgeschichte mit“, im Text vergeblich nach näheren Angaben
zum Penzliner Dasein der „einst gefeierten Literatin“ gesucht haben. Ich halte es
auch für gewagt, der kleinen Stadt Penzlin (sie hat heute weniger
Einwohner in ihren Mauern als zu Zeiten der Luise Mühlbach - sieht
man von den in letzter Zeit eingemeindeten Dörfern ringsum ab) eine
weitere Literaturgestalt anzulasten; hat das Städtchen doch schon
Mühe, mit dem Erbe des großen Johann Heinrich Voß gebührend
umzugehen. Zwar kann er
selbst, der größte Verehrer der „Frauen in der Literatur“ nicht
umhin, zuzugeben, daß man Voß und die Mühlbach kaum vergleichen
kann, aber immerhin: die Stadtväter würden wohl verzweifeln, hätten
sie nun plötzlich für eine weitere „Berühmtheit“ sorge zu tragen. Hat doch die
„Mecklenburgische Literaturgesellschaft“ bei ihrem letzten Besuch in
Penzlin mit einigem Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen müssen, daß
J.H. Voß in seiner Heimatstadt keine rechte, würdige Bleibe findet.
Zumal der Freigeist Voß sich in der Burg kaum wohlfühlen würde.
Und nun etwa noch die Mühlbach? Ich höre schon
die erschreckten Seufzer der Kämmerei und sehe die nachdenklichen
Blicke eines fürsorglichen Bürgermeisters. Aber gemach,
gemach - liebe Punschendörper Oberen und Kulturgewaltigen - sehen
wir uns doch erst einmal an, ob die Luise Mühlbach denn wirklich in
Penzlin bedacht werden muß. Natürlich ist es
unbestritten, daß sie mit bekannten und verdienstvollen Penzlinern
des 18. und 19. Jahrhunderts verwandt ist. Wenn auch E.
Danneil in seiner „Chronik der Burg und Stadt Penzlin von den
ältesten Zeiten bis zum Jahre 1874“ am 10. September 1873 für den
Preis von 15 Silbergroschen allerhand Wissenswertes bietet, so weiß
er von Luise Mühlbach kaum zu berichten. Heuer,
anerkannter Ortschronist und Ehrenbürger der Stadt, erwähnt sie
gleich gar nicht. Doch Montkowski,
ebenfalls um die Chronik der Stadt Penzlin bemüht, berichtet kurz
von ihr. Über die Zeit,
in der sie in Penzlin gelebt hat, erfahren wir mehr von der
Schriftstellerin selbst.
Luise Mühlbach, als Clara Müller am 2. Januar 1814 in Neu-Brandenburg geboren, war
die Tochter des in Penzlin geborenen späteren Neu-Brandenburger 1.
Bürgermeisters und Hofrates Friedrich Andreas Müller und dessen
Ehefrau Friederike Strübing (1790 bis 1860), deren Vater Adolf
Strübing Landsyndikus in Neu-Brandenburg war. Clara Müller
hatte zehn Geschwister. Ihr Onkel Carl
Müller war Stadtrichter und Hofrat in Neubrandenburg und ihr
Großvater war der Praepositus und Pastor Christoph Ludwig Müller,
der von 1780 bis 1816 in der Penzliner Marienkirche das Predigtamt
versah und die kleine Kirche in Passentin 1794 geweiht hatte. Ihr Urgroßvater
Johann Christian Müller war zuvor Pastor in jener Marienkirche zu
Penzlin gewesen, die wir heute wegen ihrer gedrungenen Gestalt im
Stadtbild liebevoll „Die Glucke“ nennen. Doch diese
Abstammung war es gewiß nicht allein, die der kleinen Clara das
Städtchen Penzlin so liebenswert machte. Wohl waren da die Penzliner
Großmutter und der Medizinalrat Pfuhl mit seinen ebenfalls 11
Kindern und der stillen, gestrengen „häßlichen Tante Sophie“, die
für alle ganz selbstlos sorgte und die er, dieses Penzliner
Original, als Witwer geheiratet hatte, „damit die Ordnung im Hause
bei den vielen Kindern gewahrt blieb“. Übrigens war ein
Großonkel von Medizinalrat Pfuhl - Pastorensohn aus Penzlin - nach
Rom gewandert und dort zur katholischen Kirche übergetreten,
hingerissen von der Schönheit St. Peters und der Feierlichkeit des
Gottesdienstes in der Sixtinischen Kapelle. Als er dann zum
ersten Male beichtete und Absolution von allen Sünden erhielt, da
soll er ganz zerknirscht gesagt haben:“ Nun muß ich noch eine
Sünde bekennen, was mir freilich sehr schwer wird.“ Der gütige
Beichtvater sprach ihm Mut zu, und da bekannte er ganz demütig:“
Ich bin ein Mecklenburger aus Penzlin.“ Der Beichtvater zuckte
mit den Achseln und erwiderte:“ Nun, es ist gerade keine Sünde,
aber es ist eine Schande.“ War das nun
Selbstironie oder steckte dahinter gar die noch frische Erinnerung
an den weit über die Stadtgrenzen hin bekannten und berüchtigten
Penzliner Hexenkeller und die Hexenverbrennungen, bei denen die
Kirche ja nicht gerade Ruhm und Ehre erworben hatte? Ich glaube fast,
daß auch bei dieser Legende der „Onkel Pfuhl“ die Hand mit im Spiel
gehabt hat, wenngleich ein weiterer Verwandter der großen Familie
Müller, der Forstmeister Paul Senff, ein Schwiegersohn des
Herzoglichen Oberforstmeisters Wilhelm Knochenhauer und Verwandter
von General Wilhelm Knochenhauer* gesagt hat:“ Ich kann mir schon
denken, daß die vom Verkehr weit abliegenden kleinen Städte
Mecklenburgs im vorigen Jahrhundert Idyllen waren, die einem für die
Natur und Jagd Passionierten wohl vieles boten, nicht aber dem
geistig regen Menschen. Dazu kam noch die Zurückgebliebenheit auf
politischem Gebiet.“ Das hatte wohl
auch Bismarck den Anlaß für seinen Ausspruch gegeben:“ Wenn die
Welt untergeht, dann gehe ich nach Mecklenburg; dort geht sie 50
Jahre später unter.“ Doch Penzlin war
nach Clara Müllers Worten ungleich mehr:“ Wenn ich zurückdenke an
die glücklichen Tage meiner Kindheit, so ist es mir, als schaute ich
in ein fernes, längst versunkenes Land; es war damals gleichsam von
einer chinesischen Mauer umgeben, und doch wuchs und gedieh hinter
diesen Mauern ein frisches, ursprüngliches und eigenthümliches
Leben. Mecklenburg war noch fern ab von allem Verkehr, von jeder
geistigen Zugehörigkeit, gleichsam abgetrennt von der ganzen übrigen
Welt. Keine
Chausseen, keine Industrie, keine Ausfuhr seiner Produkte, ein
mittelalterliches Dasein, eingefriedet in die Familie, in den Erwerb
und Verkehr des Tages. Nur Luft,
Licht, nur Sonne hatten die guten Mecklenburger mit der ganzen Welt
gemein.“ Und:“ Für uns
Kinder hatte diese Abgeschiedenheit ihr Gutes und Schönes; wir
gediehen körperlich und geistig, dabei in urwüchsiger Frische.“ (-)
„Darum bin ich auch der Meinung, daß man immer trachten soll, seinen Kindern
soviel Lebensfreude als möglich ist, zu bereiten - und sie genießen
zu lassen so viel Gutes, als man ihnen zu bieten vermag.“ Doch mit der
guten Bildung war es nicht so weit her. Eine Töchterschule gab es in
Neubrandenburg nicht, und die Lehrer am Gymnasium verspürten wenig
Lust und hielten es auch für unter ihrer Würde, Mädchen
Privatunterricht zu geben. Ihr Vater aber merkte, daß das lebhafte
Mädchen bei der Gouvernante, die den kleineren Geschwistern den
Unterricht erteilte, nicht in den rechten Händen war und gab sie zur
Großmutter nach Penzlin, wo zudem ein Prediger neben seinen eigenen
Töchtern auch sie unterrichten sollte. Aber sie genoß
bald das Leben auf ihre Art. Da sie wenig Lust verspürte, mit den
Töchtern des Predigers Erhardt den langweiligen Unterricht zu dulden
(saß doch der ehrenwerte Herr meist - tief in seine Klassiker
versunken - am Katheder und vergaß die Schüler, die sich derweil mit
Scotts Novellen, Platos Tischgesprächen und bei Schiller wie auch
bei Goethe zerstreuten oder der Frau Predigerin in der Küche zur
Hand gingen, machte sie sich meist selbständig und freundete sich
mit Penzliner Handwerkern an, für deren Tätigkeit sie sich rasch
begeisterte. Als sie
beiläufig dem Leineweber Kilian erklärte, daß der Prediger nun schon
den zehnten Tag für sie keine Zeit habe, da meinte der
kopfschüttelnd:“ Wenn he Di nix lihren will, denn will ik et
dohn, un wenn Din Vatting noher kümmt un süht, dat de Paster eben
een Paster is, dat heet, dat he de Minschen Wind vörmoakt, denn
kannst Du doch seggen, dat Du wat Anners lihrt häst.“ Bald fand sie
sich in der Werkstatt des Meisters Kilian ein und lernte den Flachs
weben, den sie zuvor selbst „gebrakt“ hatte - und danach begeisterte
sie sich am Können des Nagelschmiedes Freudenthal und ruhte nicht,
ehe sie das Nagelschmieden begriffen hatte. Großen Einfluß
hatte auf sie ein Penzliner Original, der Bruder ihrer Großmutter,
Onkel Pfuhl. Er war ein Mann großen Wissens und hoher Begabung, von
hinreißender Liebenwürdigkeit und unerschütterlicher Heiterkeit.
Als Doktor
zurückgekehrt aus Berlin, hatte er sich in der „Großen Hauptstraße“
der Stadt Penzlin (die eigentlich nur aus dieser mit einigen
Nebengassen bestand) ein „Schloß“, wie die Einheimischen sagten,
gebaut. Er lebte nach dem Spruche Caesars, wonach es besser ist,
Erster in einer kleinen Stadt, denn Zweiter in einer größeren zu
sein. Er galt als
hilfsbereit und freigiebig, doch gleichzeitig hatte er den Schalk im
Nacken und verspottete seine Mitbürger gern ein bißchen. Von ihm
stammt die bitter-spöttische Legende über Penzlin. „Als der
Versucher mit Christus auf dem Berge stand und auf die Welt und ihre
Schönheit hindeutete, da hielt Satan die Hand so, daß der Schatten
seines Daumens gerade auf die Stadt Penzlin hinfiel und sie im
Dunkeln blieb; denn hätte Christus die Stadt im Hellen gesehen, so
würde er gleich von vornherein eine Welt verschmäht haben, in welcher sich ein so
langweiliger und gottverlassener Ort befindet.“ Penzlin hatte
damals 2000, Neu-Brandenburg hingegen 6500 Einwohner. So konnte es
nicht ausbleiben, daß der Herr Hofrat nach einem Jahr nicht sehr
erfreut war über den „Studienerfolg“ seiner Tochter.
Sie sagte über
diese Penzliner Zeit der Ausbildung:“ Ja, wirklich, ich war genau
in dem Falle der Fürsten, von denen Mirabeau sagt, daß sie nichts
gelernt und nichts vergessen haben; ich hatte nichts gelernt an
Kenntnissen und Gelehrsamkeit, und nichts vergessen von den
Allotrias und Späßen, mit denen wir die zum Lernen bestimmte Zeit
ausfüllten.“ So kam sie
zurück in die Vorderstadt Neu-Brandenburg, wie die Nebenresidenz
damals hieß. Doch aus ihrer
Penzliner Zeit sind uns Eindrücke überliefert worden, die ein so
lebensvolles und farbiges Bild dieser kleinen Handwerkerstadt
zeichnen, daß die Luise Mühlbach allein darum auch eine Penzlinerin
genannt werden muß. Wer weiß heute
noch von der „Dragonersch“? Das war ein früh gealtertes Weib, das in
Penzlin manchem für eine Art „Hexe“ galt.
„Hochaufgeschossen wie ein Rohr, war sie ohne Blüthe, ohne Blatt,
farblos, eine der Gestalten, von denen gesagt wurde:“ Die gelbe Haut
hing um sie herum wie ein schmutziges Hemd.“ Das war Trine
Schalubben. Mit ihrer großen knochigen Gestalt schien sie wohl
berechtigt, als Dragoner die Kriege gegen Napoleon mitzumachen. Und
an der Seite ihres Gatten, den sie so leidenschaftlich liebte, daß
sie seinetwegen hinauszog, hatte sie in den Befreiungskriegen
gefochten. Allein war
sie heimgekehrt und lebte von einer kleinen Pension, die ihr der
Großherzog ausgesetzt hatte. Sie trug das Eiserne Kreuz auf ihrem
Kattunrock und ging stets mit weitausholenden Schritten und
majestätischer Haltung einher. Doch ließ sie sich trotz ihrer
Heldenwürde herab, für die Einwohner Strümpfe zu stricken. Sie
sprach wenig und erzählte nie vom Kriege.“ Wenn die von
Luise Mühlbach so aufmerksam beschriebene Trine kein Original dieses
Städtchens war, wer ist in Penzlin dann eins? Vielleicht ist
hier der Stoff für eine Novelle - ähnlich dem „Haunefieken“ bei
Fritz Reuter. Und wen es
interessieren sollte, etwas über die Revolutionswirren in
Mecklenburg und da speziell in Strelitz zu erfahren, der kann
getrost bei Luise Mühlbach nachschlagen, und er wird dabei gleich
auf andere, nicht weniger interessante Mecklenburger wie die „Gräfin
Rossi“ oder Karl Kraepelin treffen. Manches aus dem
Alltag der Stadt ist bei der Schriftstellerin nachzulesen, und sie
zeichnet ein liebevolles, so gar nicht verächtliches Bild aus einer
Jugendzeit, von der wir alle aus unserer Erinnerung wissen, daß sie,
verklärt zur unbeschwerten Kindheit, Nesseln zu Nelken werden ließ. Zwar war ihr der
Homer durch die abendlichen Vorlesungen der Tante Sophie beim
blakenden Licht der tropfenden Wachskerzen „fürs Leben zuwider“,
jedoch tat das ihrer Liebe zur Literatur keinen Abbruch. Hatte sie
doch das Erlebnis, die „Räuber“ in Penzlin (!) aufgeführt zu sehen. Was war dem
jungen Menschen da schon die Umgebung? Die Aufführung
fand in Onkel Pfuhls Scheune vor dem Tore statt. Und „in
dieser düsteren Scheune, bei der mangelhaften und vielleicht sogar
komischen Darstellung der Räuber entzündete sich in meiner Seele
doch ein Strahl der ewigen unauslöschlichen Poesie und erfüllte mein
ganzes Wesen von jener Stunde an mit Begeisterung und Entzücken, mit
frohem Muth, alles zu wagen, um alles zu gewinnen, das heißt, ein
wenig Ruhm und einen kleinen Zweig von dem Lorbeer der
Unsterblichkeit“. Und er wurde ihr
zuteil. Als der Berliner Kritiker und Schriftsteller Theodor Mundt
sie 1839 (nicht 1836, wie Danneil und Montkowski schreiben)
heiratete, da erkannte er sehr bald ihre Begabung für den
historischen Roman, vermochte sie doch „in beachtlicher Weise,
geschichtliche Begebenheiten zu verwerten und besaß ein kolossales
Gedächtnis“. Die Erfolge bei
Luise Mühlbach begannen bald die des ernsteren Autors Mundt zu
überflügeln, doch blieb sie ihm gegenüber immer die Lernende! Daß sie sich
aber „Frau Professor“ nennen ließ, ist eine sowohl gewagte wie auch
gegen ihr Leben gerichtete Behauptung. (Mundt wurde erst 1848 a.o.
Professor.) Sie war von
Anbeginn und immer „die Mühlenbach“, von der Adolf Glasbrenner sagte:“
Sie hat ihrem Volke die Geschichte ans Herz gelegt.“ Bedarf es eines
besseren Fürsprechers? Schleiermacher,
der bekannte Arzt, hatte ihr das Schachspiel beigebracht, und sie
hat es später mit General Pfuhl, dem Ministerpräsidenten von 1848,
oft gespielt. Dem Grafen
Lehndorf verdankte sie ihre Reise nach Ägypten 1870 auf Einladung
des Khedive. Mit Ida
Hahn-Hahn, einer Schriftstellerin aus der großen Sippe der „Hähne“
um Basedow, hatte sie sich gemeinsam gelobt, berühmt zu werden. So erlebten in
jener Zeit ihre Romane über Friedrich den Großen, Napoleon I.,
Joseph II. bald acht bis zehn Auflagen. Außerdem schrieb sie
Reiseberichte für die großen Zeitungen wie den „Herald“. Es war durchaus
achtungsvoll gemeint, wenn ihr Mann von ihr als von einem
„Talentungeheuer“ sprach und sie immer wieder ermunterte. Woher kam aber
der Vorname „Luise“? Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von der
Königin, sondern wohl vielmehr aus der Liebe und Erinnerung an jene
unglückliche Spielgefährtin Luise, die als Mecklenburgische
Prinzessin wegen einer verbotenen Liebe zu einem Kammerherrn des
Großherzogs nach Neapel ging und dann scheinbar verschollen blieb. Zu ihrem großen
Freundeskreis zählten neben Adolf Glasbrenner auch Gutzkow, Fürst
Pückler-Muskau, Pietsch, selbst Marx, aber auch Fanny Lewald, der
Prinz Georg von Preußen wie auch der Herzog Ernst von Coburg und
Gotha. Bühnengrößen wie F. Haase, Devrient, Döring, die schöne
Sarolta verkehrten bei ihr. Heinrich Heine
dagegen spöttelte über sie:“ - - Luischen Mühlbach sitzt und
strickt am weltgeschichtlichen Strumpfe“, wie uns Robert König
in seiner „Literaturgeschichte“ berichtet. Nach dem frühen
Tode ihres Mannes schrieb sie auf Bitten des „Herald“ einige
Biographien; denn, so sagte dessen Vertreter:“ - - -
es sind
lauter alte Leute, sie können bald sterben, und der „Herald“ wird
dann sogleich die Biographien von Ihrer Feder haben.“ Es waren die
Lebensbeschreibungen von Bismarck, Moltke, Kaiser Wilhelm I. und
Pius X. Sie sind dann
alle lange nach Luise Mühlbach dahingegangen. In ihrem Leben
verfaßte sie fast 300 Romane und Lebensbeschreibungen. Welch ein
Fleiß, welche Kenntnisse! Am 26. September
1873 starb sie an den Folgen einer Kur in Marienbad. Messen wir nicht
allzuoft mit unseren heutigen Maßen und begreifen unsere Vorfahren
zu wenig als Kinder ihrer Zeit, die doch oft über ihre Zeit
hinausreichten? Luise Mühlbach
vereinigte ein Gemüt voller Güte mit Energie und Schaffenskraft. Ihr
wurde manches Leid, viele Anfeindungen, aber auch viel Anerkennung,
großes Glück und wahre Freundschaft zuteil. Lassen wir sie noch
einmal zu Wort kommen: „Ich lege nun
auch mein Bekenntnis ab und sage - ich bin eine Mecklenburgerin. Aber ich sage
nicht wie ein katholischer Priester, das sei eine Schande. Im
Gegenteil, ich liebe mein kleines Vaterland, und wenn ich die Laute
der plattdeutschen Sprache höre, geht mir das Herz auf in Jugendlust
und Freude, und ich kümmere mich gar nicht darum, daß bei uns noch
der Feudalismus herrscht und daß man bei uns in Mecklenburg die
Beglückung der constitutionellen Regierung noch nicht recht
anerkennen will.“ Ihrer Tochter
Thea Ebersberger haben wir es zu danken, daß wir vom Leben der
„Luise Mühlbach“ in Penzlin mehr wissen, schrieb sie doch die
„Erinnerungsblätter aus dem Leben der Luise Mühlbach“. Wir Heutigen
können von ihrer Mutter manches erfahren über die „Vorderstadt
Neu-Brandenburg“ und das kleine Handwerker- und Ackerbürgerstädtchen
Penzlin, das noch heute mit Mühen versucht, „aus dem Schatten“ zu
weichen, dem Druck des großen Nachbarn standzuhalten, eigenständig
zu bleiben, das aber in seiner unverwechselbaren, wunderschönen Lage
den Besuchern Erholung und Entspannung und in seinen alten Gemäuern
Zeit zum Nachdenken bietet. So soll zum
Schluß ein Gedicht ihres Mannes, des Literatur-Professors Theodor
Mundt, Hoffnung und Zuversicht ebenso geben wie die Anregung an uns,
die Wurzeln nicht zu vergessen, aus denen wir kommen.
„Die Zeit
Der Augenblick ist launisch und verhöhnend,
Nach Willkür Dich bestimmend und verletzend.
Die Zeit im Ganzen ist gerecht, versöhnend,
Ausgleichend, göttlich waltend und ersetzend.
Der Augenblick gehört dem Menschen eigen,
Und seinem ungewissen Drang nach Thaten,
Doch in der Zeit im Ganzen wird sich zeigen,
Dir Gottes Geist, wie alles er berathen.
Drum sei auf’s Ganze hoffnungsvoll gerichtet, Wenn Dich die
Angst des Einzelnen erschüttert;
In Gottes Geist ist schon der Streit geschlichtet,
Selbst wenn er noch in Deinem Busen zittert.“*
*General Wilhelm Knochenhauer (1878 - 1939), Schwager des Herzoglichen
Oberforstmeisters Wilhelm Knochenhauer (1838 - 1915), rettete 1936
die Gebeine des Dichters Hermann Löns vor der SA und ließ sie unter
militärischem Geleit im Tietlinger Hain bei Walsrode zur letzten
Ruhe betten. Er war ein direkter Nachfahre der Friederike Müller
(1816 - 1875), der Schwester unserer „Luise Mühlbach“.
Werke (Auswahl)
-
Erste und letzte Liebe, Roman , 1838;
-
Frauenschicksal 2 Bde. 1839;
-
Zugvögel, Novellen, 1840;
-
Ein Roman in Berlin, 3 Bde. 1846;
-
Der Zögling der Gesellschaft, 2 Bde. Roman, 1850;
-
Friedrich der Große und sein Hof, 3 Bde. 1853;
-
Königin Hortense, 2 Bde. 1856;
-
Kaiser Joseph der Zweite und sein Hof, Roman; 1857;
-
Napoleon in Deutschland, 16 Bde. 1859;
-
Erzherzog Johann und seine Zeit, 12 Bde. 1863;
-
Deutschland in Sturm und Drang, Roman, 17 Bde. 1868;
-
Mohamed Ali und sein Haus, Roman,1871;
-
Reisebriefe aus Ägypten, 2 Bde. 1871;
-
Protestantische Jesuiten, Roman, 6 Bde. 1874;
-
Erinnerungsblätter aus dem Leben Louise Mühlbachs, 1902;
Dr. Wolfgang
Köpp
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„Revolutschon
in Mäkelbörg – oder: die Gräfin Rossi muß fort!“
„Freut Euch, Ihr Mecklenburger“, schrieb ein
Dr. Blohm im Rostocker Anzeiger Nr. 49 im Jahre 1848, angesichts der
Erfolge der „Revolutschon in Mäkelbörg“.
Und im vergangenen Jahr lasen wir, eingedenk
der 150 Jahre dieses bedeutenden Ereignisses, aus den
unterschiedlichsten Federn stammende, teils heroisierende, manchmal
ideologisch aufgeblähte, aber auch sehr fundierte, an den Quellen
orientierte Berichte jener denkwürdigen Zeit.
Leider hörten und lasen wir zu wenig davon, was
der traurigen Wirklichkeit eher entsprach, nämlich von den
unterschiedlichsten Merkwürdigkeiten und Schnurren, auch längst
vergessenen Begebenheiten, die dieses, andernorts so folgenreiche
Jahr hier, im Mecklenburgischen und besonders in dem Strelitzer
Ländchen - in „Dörchläuchtings Reich“ auszeichneten.
Vom „Redenblödsinn in Reformvereinen“ (wie in
Reuters Stromtid) über das „Verlangen der Tagelöhner zu Broda“ bis
hin zur „Rauchfreiheit auf den Strelitzer Straßen“ (welche die
vermeintlich einzige März-Errungenschaft gewesen sein soll),
zeichnete sich das winzige Ländchen schon aus.
Winziges Ländchen, wird mancher empört
aufmuckern: ja doch. Ich will ein Beispiel geben und mich dabei
nicht der bekannten Kutschenepisode mit den geborgten Pferden wie
bei „Fritzing Reuter“ bedienen.
Als nämlich ein fremder Gast sich im Strelitzer
Hoftheater in Gegenwart des Fürsten ungebührlich benommen hatte,
wurde er aufgefordert, umgehend das Land zu verlassen. Und er
erwiderte darauf herablassend, er werde innerhalb einer halben
Stunde außer Landes sein!
Und so liest sich dann ein Augenzeugenbericht
der Luise Mühlbach über die Strelitzer Revolution:
„ Das Jahr 1848 mit seinen Aufregungen und
seinen neuen Ideen klopfte an die Pforten des Fürstenschlosses. Der
Fürst hatte gemeint, wenn es überall auch tobe und wüthe, bei ihm
könne es keine Rebellion geben. Doch das Jahr 1848 sprach von
anderen Dingen als von Unterthänigkeit und Gehorsam und raste auch
mit seinem Sturme durch die sonst so stillen Städte und Dörfer des
kleinen herzoglichen Landes dahin. Ich glaube, meine guten
Landsleute schämten sich, daß sie allein sollten still und ruhig
bleiben, während es um sie aller Orten tobte, sie standen auf und
machten auch Revolution.
Auf einmal
wimmerten die Glocken und eine schwarze Sturmfluth wälzte sich dem
Jagdschloß zu. Da standen sie, dichtgedrängt die rufenden,
brüllenden Schaaren der Menschen. Zum ersten Male hörte der Fürst
den hallenden Schritt der neuen Zeit. Drunten schrie und heulte die
Menge und hob drohend die Fäuste empor.
‚Was wollt ihr, was begehrt ihr von mir‘,
fragte der Fürst die tobende Menge.
Niemand antwortete anfangs. Sie waren
herangestürmt in dem dunklen Gefühl, daß sie das Ihre tun müßten im
Dienste der neuen Zeit.
Der Herzog fragte erneut, während sich die
Hofschranzen in die Tiefe des Raumes verzogen.
Da ertönten nun laute Stimmen:‘ Die
Gräfin Rossi soll fort‘, dann andere:‘ Wir wollen freies
Krebsen haben!‘ Das letzte Wort wurde mit Jubel empfangen und
laut genug von hundert Kehlen tönte es nun:‘ Die Gräfin Rossi
soll fort und wir wollen freies Krebsen haben‘.
So verließ die
Gräfin Rossi mit ihrem Gemahl noch am selben Abend die Residenz, in
der sie ‚ zur Freude des Herzogs, häufig im Theater gesungen
hatte.“ Die Rauchfreiheit auf ihren Straßen hatten sie
nun, die revolutionären Strelitzer, und das freie Krebsen auch, aber
was hatte es mit dem Fortgang der Gräfin Rossi auf sich? Wer war
sie, daß sie Ursache solchen Sturms werden konnte? Gräfin Rossi
wurde als Henriette, Gertrude, Walpurgis Sontag am 3. Januar 1803 in
Koblenz als Tochter eines Sängers und einer Schauspielerin geboren. Nachdem sie
schon in Kinderrollen Theater gespielt hatte, studierte sie in Prag
Gesang und Klavier und debütierte 1821 als Prinzessin von Navarra in
der Boieldieu-Oper „Jean de Paris“. 1822 kam sie
nach Wien, wo sie am 25.10.1823 Webers „Euryanthe“ kreierte und bald
darauf die Sopran-Soli der „Neunten Sinfonie“ und der „Missa
Solemnis“ sang. Beethoven
interessierte sich sehr für die junge Sängerin und arbeitete mit
ihr. Rossini
äußerte sich begeistert über ihre Leistungen in seinen Opern.
1824 wurde
die Sängerin nach Berlin berufen, wo ihr Ruhm mit der Vollendung
ihrer Kunst wuchs. Bald darauf
sang sie in Paris die „Rosina“ sowie Mozarts „Donna Anna“ und
Rossinis „Cenerentola“. Ihre
Koloraturen wurden für vollendeter erklärt als die der damals
berühmten Catalani. Sie trat in
Weimar auf und begeisterte Goethe, der, tief beeindruckt von ihrer
Persönlichkeit als Künstlerin, sie in einem Gedicht pries. Ihr Wiederauftreten in Berlin löste jene
Begeisterungspsychose aus, die als „Sontagsfieber“ in die
Operngeschichte eingegangen ist. Im Hofopernhause sang sie neben der ‚Donna
Anna‘ die ‚Agathe‘, ‚Euryanthe‘, ‚Susanna‘ ,‘Tancred‘, ‚Desdemona‘.
Man rühmte namentlich auch ihre große, echte und edle Kraft der
Darstellung als unübertrefflich und eine vollendete Meisterschaft
des Vortrages und der Ausführung. Es war wahrhaft ergreifend und rührend, welch
herzliches Lebewohl die Berliner Lieblinge weihten, „Sie war das holdeste, liebenswürdigste,
einfachste deutsche Mädchen, von mittlerer Größe, dem zierlichsten
Wuchse, mit einem runden lachenden Gesichtchen, blauen, sanften,
lebhaften Augen, blondem Haar und gewinnendstem Wesen, stets heiter,
voll Laune und Muthwillen, aber von den Grazien umweht in jeder
Bewegung; dabei mit dem besten Herzen begabt, stets zu helfen
bereit, immer wohlthätig, freundlich, zuvorkommend und liebreich. –
Mit dieser bezaubernden Persönlichkeit einte sich eine glockenhelle,
klare, liebliche, weiche und umfangreiche Stimme und eine sehr
gründliche musikalische Bildung, unermüdlicher Fleiß und energisches
Streben. – so erlebte sie Ehren, wie sie vor und nach ihr keiner
andern Künstlerin zu theil wurden.“
Auf dem Wege nach Paris, ihrer nächsten
Wirkungsstätte, war sie wieder bei Goethe, der für sie die Hexameter
seiner „Neuen Sirene“ schrieb.
Die neue Sirene
Habt von Sirenen gehört? Melpomenens Töchter, sie prunkten
Zöpfumflochtenen Haupts, heiter entzückten Gesichts;
Vögel jedoch von der Mitte hinab, die gefährlichsten Buhlen,
Denen vom küßlichen Mund floß ein verführendes Lied.
Eine geschwisterte nun, zum Gürtel ab griechische Schönheit,
Sittig hinab zum Fuß nordisch umhüllt sie das Knie:Knie:
Auch sie redet und singt zum ost- und westlichen Schiffer;
Seinen bezauberten Sinn Helena läßt ihn nicht los.
Bald führte Wilhelm v. Humboldt sie in die
Gesellschaft ein. Das war für die Sängerin ein elementares Ereignis,
galten Künstler damals doch allgemein als nicht hinreichend
gesellschaftsfähig. Als sie 1830 aus England nach Berlin
zurückkehrte, gab sie ihre schon einige Zeit zurückliegende Heirat
mit dem sardinischen Diplomaten Carlo Graf Rossi bekannt. Friedrich Wilhelm III. erhob sie nun - nicht
ohne besondere Absicht - in den erblichen Adelsstand, doch mußte sie
auf Weisung des sardinischen Königs Karl Albert die Laufbahn als
Opernsängerin aufgeben, sang jedoch weiter in Konzerten. Die einstige Primadonna sah sich immer wieder
gefeiert und verkehrte mit den bedeutendsten Geistern der Kunst und
Wissenschaft. Als ihr Mann 1849 demissionieren mußte, kehrte
die Sängerin (an „Her Majesty’s Theatre“ in London) zur Bühne zurück
und wurde dort – wie auch in Paris - gefeiert. Am 17. Juni 1854 starb sie auf einer
Konzerttournee durch Nord- und Mittelamerika in Mexiko. Henriette Sontag bildete in ihrer Art in Stimme
und Stil ein gesangliches Phänomen, das besonders von Berlioz
erkannt wurde, der in ihrer makellosen, über zweieinhalb Oktaven
reichenden Stimme eine unwiederholbare Vollkommenheit zu erleben
glaubte. Ihr reiches Repertoire gruppierte sich um die großen
Koloraturrollen Rossinis, der sie wie wenige Primadonnen schätzte.
Dazu kamen Donizettis „Lucia“, die „Norina“
(Don Pasquale), die „Regimentstochter“ sowie Bellinis „Somnambula“. Was aber hatte diese großartige Sängerin, diese
überall gefeierte Einmaligkeit der Opernbühne und des Konzertsaals
mit der verschlafenen Idylle einer mecklenburgischen Residenz und
dem dort auflodernden Volkszorn zu tun? Ein volles Jahrzehnt, von 1844 bis zum Tode der
in ganz Europa gefeierten und bewunderten Sängerin
im Jahre 1854, verband den Großherzog Georg und
die Sängerin eine herzliche Freundschaft.
Die Besuche in Neustrelitz führten an dem
damals weit über die Landesgrenzen bekannten und der königlichen
Bühne in Berlin durchaus nicht nachstehenden Theater (erwähnt seien
die Auftritte so bekannter wie namhafter Künstlerinnen wie der
Tragödin Julie Rettich in „Faust“, „Iphigenie“ und in der „Braut von
Messina“ oder der Schauspielerin Caroline Jagemann, die zugleich mit
Henriette Sontag gastierte und in Bellinis „Norma“ Erfolge feierte)
zu glanzvollen Auftritten.
Allerdings mußten die meisten Darbietungen der
Gräfin mit Rücksicht auf den Status ihres Gatten nur vor einem
kleinen geladenen Kreis unter strenger Geheimhaltung stattfinden.
Karl Kraepelin, den die Künstlerin Bertha
Unzelmann nach Leipzig holen wollte, um ihm dort bessere
Möglichkeiten zu bieten, wurde vom Neustrelitzer Intendanten v.
Dachroeden in seinen Ferien aufgefordert, nach Neustrelitz
zurückzukehren, „da Henriette Sontag einige Partien aus ihren
Glanzopern singen wolle und dazu seine, Kraepelins, Anwesenheit und
Mitwirkung erforderlich sei“. Kraepelin hätte nicht ein dankbarer und
zugleich begeisterter Künstler sein müssen, wollte er auch nur einen
Augenblick zögern. Wie konnte er auch ahnen, daß damit sein Wirken
allzu rasch ein Ende finden sollte, galt doch das Hoftheater den
Bewohnern der Residenz als ein überflüssiger und verwerflicher
Luxus, den mitzuunterhalten, sie nun nicht mehr gewillt waren. Das hatte später auch sein Gutes, machte sich
doch der nun arbeitslose Hofschauspieler Karl Kraepelin mit dem
Vortrag Reuter’scher Verse bald einen Namen und trug so Reuters
Schaffen durch ganz Norddeutschland. (Erinnert sei an Reuters
begeisterten Ausruf im Alt-Rehser Pfarrhaus:“ Korl, dit hew
ick gor nich schrewen.“) Für die Sängerin waren die Besuche in
Neustrelitz eine stete Quelle der Erholung und Freude, für den Hof
sicherlich schönste Festtage. Auch in ihren Ferien war sie häufig in
Neustrelitz und Hohenzieritz als Gast des Herzogs Georg, um
besonders im Hohenzieritzer Park (und auch das ist historisch
überliefert), mit den Nachtigallen um die Wette zu singen. Ihr Logis war dann das damalige
Prinz-Ernst-Palais in der Schloßstraße. Goethe nannte sie „eine Nachtigall, die
umherflattert.“ Karl von Holtei, den kundigen Neustrelitzern
kein Unbekannter, hat Henriette Sontag so beschrieben: “ Ich habe schönere (!) Frauen gesehen,
größere Schauspielerinnen, habe gewaltigere Stimmen gehört,
vielleicht auch höhere Virtuosität des Gesanges, aber einen so
innigen Verein von Anmut, Reiz, Wohllaut des Organs, der
Darstellungsgabe wußte ich nirgends und nie bewundert zu haben.“ Ich glaube, das hat Holtei nicht allein so
begeistert betont, denn als er, ein junger Gymnasiast von 14 Jahren,
der schönen Frau einst am Ufer des vereisten Zierker Sees zum Neid
der Gardeoffiziere und anderer Galane immer wieder mal die
Schlittschuhe anschnallen durfte, dabei vor der wunderbar zarten
Gestalt mit den seelenvollen Augen knien durfte, war das wohl das
unvergeßlichste Jugenderlebnis des Schülers. Den Neustrelitzern jedoch schien sie der
Ursprung der finanziellen Lage ihres Theaters zu sein, stieg doch
vom Spieljahr 1838/39 das Defizit von 957 Rth.( Reichstaler) auf
3160 Rth. 1841. Und obwohl aus der großherzoglichen Rentei ab 1843
jährlich 13 000 Rth. zuflossen, blieb am Ende jeder Saison ein immer
größeres Defizit. 1846/47 war die Unterbilanz schließlich auf 3312
Rth. gestiegen. (Was verursachen demgegenüber unsere heutigen
Bühnen für gewaltige Unterhaltskosten!) Gleichzeitig war die Staatsschuld auf
eineinhalb Mill. Taler angewachsen. Die Hauptsteuerlast hatten dabei
die Städter zu tragen, da die Güter überwiegend steuerfrei waren.
Es wird wohl die Frage ewig offen bleiben, ob
die revoltierenden Bürger 1848 den Herzog zwangen, das Theater
aufzulösen, oder ob der alternde Großherzog, nun, da Henriette
Sontag nicht mehr sang, seine Freude an diesem bekannten Musentempel
verloren hatte und von sich aus das Theater schloß. Als sie starb, da widmete ein Dichter ihr die
folgenden Verse:
„Eine Rose, welche singt Nachtigallentöne, eine Nachtigall, umringt mit der Rosen
Schöne. Schwebt mir doch kein Name vor, der dem
Wunder tauge, Nachtigall nennt sie das Ohr, Rose sie
das Auge.“
Vielleicht denkt der Eine oder andere, der im
Frühsommer nächtens durch den Hohenzieritzer Schloßpark wandert und
dem Gesang der Nachtigallen lauscht, an die Geschichte der Henriette
Sontag, die als ein unschuldiges Opfer der Neustrelitzer „Revolutschon“
den braven Bürgern unbewußt zum „freien Krebsen“ verholfen hat.
Dr. Wolfgang Köpp
Haus München 38
D-17217 Alt-Rehse
Literatur kann beim Verfasser erfragt werden.
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„Dragonersch“
– Trine Schalubben.
(Zur Erinnerung für die Nachkommenden)
Man schrieb das Jahr 1816.
Auch im vielfach geschundenen und
geplünderten Mecklenburg, das unter der Franzosenzeit in besonderem
Maße gelitten hatte, wofür noch heute zahlreiche Berichte und
literarische Denkmale zeugen, begannen allmählich die Kriegs- und
Brandschatzungswunden, die schlimmen Folgen von Mord und Totschlag,
Plünderungen, Vergewaltigungen und anderen Greuel zu verheilen.
Diese Franzosenzeit hatte im Volk ihre tiefen,
unauslöschlichen Spuren hinterlassen. Die Dörfer waren ausgeplündert und verarmt, von
ihren einstigen Bewohnern teils verlassen, teils nicht mehr
bewohnbar und Tausende, die geflohen, waren nicht mehr
zurückgekehrt.
Viele hatten auf beiden kriegführenden Seiten,
oft gegeneinander, gekämpft.
Die einen, brutal ins französische Heer
gepreßt, mußten gegen das eigene Volk und dessen Verbündete ziehen,
die anderen wagten freiwillig auf Seiten der gegen Napoleon
Verbündeten, in der Freischar bei Schill oder im neugegründeten
Landsturm ihr Leben gegen die maßlose Unterdrückung und
Unterjochung.
Allmählich waren diejenigen, die aus der
kleinen Stadt Penzlin und den umliegenden Gutsdörfern für die
Freiheit vom napoleonischen Joch mannhaft gestritten und überlebt
hatten, in ihre Heimat zurückgekehrt.
Nun wurde ihnen eine späte Ehrung zuteil.
Der Erblandmarschall Ferdinand v. Maltzahn
ließ ihre Namen auf einer Holztafel verewigen, die an einem Pfeiler
der Kirche St. Marien zu Penzlin angebracht, an ihren tapferen
Einsatz für ihr Vaterland erinnern sollte. 1813 hatte der Großherzog
Friedrich Franz von Mecklenburg –Schwerin den Verteidigern des
Vaterlandes gegen die napoleonische Fremdherrschaft die volle
persönliche Freiheit versprochen und dieses Versprechen auch auf
seinem Domanium eingelöst.
Hatte man sie alle genannt, die für ihr
Vaterland eingetreten, mit ihrem Blut und Leben dafür gestritten
hatten? Galten nur die kämpfenden Männer etwas?
Zu dieser Zeit fand ein weiteres, für die
Umgebung und, wie sich bald zeigen sollte, auch für das Land
bedeutsames historisches Ereignis statt.
Am 18. Oktober 1816 ließ derselbe Ferdinand v.
Maltzahn durch den damaligen Pastor Eberhard von der Kanzel der
Marienkirche herab die Aufhebung der Leibeigenschaft auf allen
seinen umliegenden Gütern verkünden.
Er löste damit ein Versprechen ein, das er
seinen Landarbeitern gegeben hatte, weil sie seinem Aufruf gefolgt
und sich ohne zu zögern, eingereiht hatten in die neu gegründeten
Landsturmregimenter, um gegen die verhaßten Unterdrücker ins Feld zu
ziehen. So war es angesichts dieser, für den armen
ländlichen Raum aufsehenerregenden Ereignisse und in den Wirren der
Nachkriegszeit kein Wunder, daß die Heimkehr einer Frau in die
kleine Stadt kaum bemerkt wurde.
Hochgewachsen, mit der Statur eines Mannes,
wurde sie anfangs kaum beachtet.
Sie wirkte „wie ein Rohr, ohne Blüte und Blatt,
wie dieses dürr und farblos“.
Kein Chronist berichtete über sie.
Auf der Ruhmestafel in der Kirche suchte man
ihren Namen vergeblich.
Dennoch mußte sie jedermann auffallen.
Ein armseliger Kattunrock umschlotterte
wochentags wie sonntags die hagere, früh verblaßte und rasch
gealterte, knochige Gestalt.
An diesem Kattunrock war stets das „Eiserne
Kreuz“ angeheftet. Wer war diese Frau? Älteren Bürgern der Stadt war sie noch in
dunkler Erinnerung. Die Jüngeren, besonders die Kinder, trieben
wohl anfangs mit der sonderlichen Gestalt ihre Späße und liefen auch
manchmal wie „marschierend“ hinter ihr her, ehe ihnen die Älteren,
teils aus Furcht, teils aus einem unerklärlichen Gefühl
respektvoller Achtung, weiteren Spott und jede Belästigung der
einsamen Frau untersagten. Bald hieß sie die „Dragonersch“, ein Name, in
dem mehr mitschwang als hilfloser Spott oder ungewisse Zeichnung der
seltsamen Person. Mit den Jahren galt sie mehr und mehr in der
kleinen, beschränkten, von früheren, wohl noch erinnerlichen
Hexenprozessen gebrandmarkten Ackerbürgerstadt für eine „Hexe“. „Die gelbe Haut hing um sie wie ein schmutziges
Hemd“, hieß es von ihr, die mit weitausholenden Schritten und
aufrechter, fast majestätischer Haltung ohne sich groß um die
anderen zu bekümmern, durch die einzige wirkliche Straße der Stadt
oder die winzigen, oft kotigen Nebengassen ging. Es war die Trine Schalubben.
Ihre große knochige Gestalt hatte ihr wohl
geholfen, ohne besonders aufzufallen, mit in die Feldzüge gegen
Napoleon zu ziehen. Sie hatte ihren Mann, den sie so
leidenschaftlich liebte, daß sie sich nicht von ihm zu trennen
vermochte, nicht allein in den Kampf gehen lassen wollen. Und so hatte sie in den langandauernden
mörderischen Kriegszügen Seite an Seite mit ihm gefochten und alle
Strapazen überstanden. Allein war sie zurückgekehrt, doch ließ sie
sich, obwohl ihr der Großherzog eine kleine Pension fürs Leben
ausgesetzt hatte, dazu herab, den Penzliner Einwohnern gelegentlich
Strümpfe zu stricken. Sie tat aber stets, als wäre das eine Gnade und
nahm die paar Schillinge Lohn, welche man ihr fürs Stricken gab,
geradezu wie „aus Erbarmen“ an. Sie sprach kaum mit den Leuten; als aber mal
ein Unverschämter sie dreist aufforderte, ihm von „ihren
Heldentaten“ aus den Befreiungskriegen zu erzählen, da hatte er von
ihr eine Ohrfeige wie einen Säbelhieb bekommen, so daß der
aufdringliche Kerl zum Gelächter des ganzen Städtchens mehrere Tage
mit geschwollenem Gesicht herumlief. Nie erzählte sie von ihren Kriegserlebnissen.
Andere aber berichteten, daß sie sehr tapfer
gewesen sei und den Leichnam ihres in der Schlacht gefallenen
Eheliebsten mit ihrem Säbel vor den andrängenden Feinden beschützt
habe. Ein wenig Vertrauen hatte sie nur zum Doktor
Pfuhl, einer anderen, damals stadtbekannten und hochgeachteten
Persönlichkeit, der sie auch stets in Schutz nahm. Wenn der mit ihr sprach, so heißt es, oder wohl
auch mal ein bißchen mit ihr in aller Ehrerbietung schäkerte, dann
soll manchmal wohl der ferne Abglanz eines Lächelns um ihre
schmalen, fast blutlosen Lippen geschimmert haben. Kein Penzliner Chronist hat nach ihr geforscht,
keiner über sie geschrieben, auf keiner Ehrentafel steht ihr Name –
und dennoch scheint es wert zu sein, daß man sich ihrer erinnert. Wohl lebt in der noch immer kleinen, beengten
und hier und da auch beschränkten Stadt schwach die Erinnerung an
eine andere Teilnehmerin aus der „Franzosenzeit“, doch zog die
damals, gemeinsam mit den geschlagenen Erobern flüchtend, westwärts.
Die war freiwillig, ohne Druck ins fremde Heer gegangen. Über die
hat man sogar geschrieben. War die Trine Schalubben nicht wenigstens
Gleiches wert? Allenthalben begegnet man in der Stadt und den
umliegenden Dörfern noch Namen, die sehr viel Gemeinsamkeit mit dem
Namen der Vergessenen aufweisen: Scherlipp ist einer davon. Aber
auch Scharlibbe und Scharlibb gab es in Penzlin, so wie Scherlibb.
Am 3. Februar 1847 stirbt in Penzlin Katharina
Maria Scharlibbe, geb. Jüngling und wird dort auf dem Friedhof am 5.
Februar 1847 begraben. Sie war die Witwe des Schustermeisters Johann
Heinrich Scharlibbe. 72 Jahre, 1Monat und 25 Tage alt, starb sie an
Altersschwäche, war also 1775 geboren. Ihr Vater war der Schustermeister Jakob
Friedrich Jüngling, ihre Mutter Maria Elisabeth geb. Paegelow. War
sie die Trine Schalubben? Mehrere Familien Scharlibbe kommen in den
Registern der Penzliner Kirchenbücher vor, die, obwohl erst 1831
angelegt, auch Angaben älterer Zeit enthalten. E. Danneil hat in seiner „Chronik der Burg und
Stadt Penzlin von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1874“ nichts von
der Trine Schalubben erwähnt. Sie war ihm wohl nicht wichtig genug,
oder er wußte nichts von ihr. In einer Zeit, wo wir im überschnellen Drange
nach Europa zu vergessen scheinen, wo unsere Wurzeln liegen, wo der
Jugend kaum noch die Geschichte ihrer Heimat nahegebracht, ein
gesunder Patriotismus ängstlich und unwissend mit Nationalismus
verwechselt wird und so mehr und mehr die Identität wie die Liebe
zur Heimat verloren gehen, müssen wir Sorge tragen, daß nicht alles
im Strudel einer rasanten Wegwerfbewegung verloren geht. Wer heute
ohne das Gestern lebt, wird kaum ein wirkliches Morgen haben. Auch deshalb muß an Trine Schalubben erinnert
werden, die aus übergroßer Liebe zu ihrem Mann und für ihre Heimat
in die Schlachten hinauszog und als „Dragonersch“ zurückkehrte.
Dr. Wolfgang Köpp
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