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Blumen der
Heimat ( in Farben der Erinnerung)
Es regnet. Gestern noch, als wir im „Wegner’schen“
Garten in Harmelsdorf mit dem polnischen Imker bei seinen Bienen
waren, da hatte uns ungewöhnliche Hitze das Arbeiten schwer werden
lassen, und eine immer mehr lastende Schwüle ließ das drohende
Gewitter ahnen. Das war dann auch mit Krachen
und taghellen Blitzen über das Dorf gekommen und hatte Regen wie
„aus Mollen“ geschüttet. Die Nacht durch goß es
unaufhörlich, am Morgen stand überall das blanke Wasser in großen
Pfützen, daß nicht einmal der pommersche Sand der Waldwege und in
der Kastanien-Allee so rasch alles aufnehmen konnte. Jetzt nieselte oder tröpfelte es
immer wieder aus tiefhängenden Wolken, der Roggen ließ schwer die
Ähren sinken und die überall aufleuchtenden Kornblumen mußten sich
ebenso beugen. Von den großen Kastanien im Dorf
regnete es mit jedem Windhauch nach, die dicken Tropfen schlugen
Blasen in den Pfützen. „Dann wird es drei Tage
regnen“, sagten die Alten, und wie zur Bestätigung waren die
Hühner nicht wie sonst - bei einem kurzen Schauer - unter die Büsche
oder das Schuppendach geflüchtet, sondern trotzten dem Wetter und
scharrten und sammelten ergeben. Der große Holunderbusch auf dem
Schulhof, früher sagten viele Menschen in den Dörfern „Fliederbusch“
zu ihm, - aber wie wenige waren von beiden übrig geblieben, - er
neigte die schweren, voll erblühten weißen Dolden, von denen sonst
um diese Zeit etliche den Weg in die Küche gingen. Es war ja „Johanni“, und
ohne „Johannisbrot“ war dieser Tag früher bei uns nicht
denkbar gewesen. Da wurden dann die abgespülten Blütendolden in
einen süßen Teig gestippt und auf der Pfanne kurz gebacken. Ach,
knusperte das und schmeckte nach besonderem, und wir Kinder konnten
von dieser seltenen Leckerei nicht genug bekommen. Wir waren ja auch sonst nicht
verwöhnt, und ich muß daran denken, wie wir am Backtag schon lange
bei der alten krummen Kastanie zwischen den freigespülten Wurzeln am
Backofen auf unsere „Backen“ warteten, kleine brotähnliche
Gebilde, mit Zucker bestreut, die aus den Resten des Brotteigs für
uns bereitet wurden. Stundenlang knabberten wir an der Köstlichkeit. Holunderbüsche hatten für uns
Jungs aber noch eine ganz andere Anziehungskraft. Wenn sie schöne gerade dicke
Stiele zeigten - und wir suchten oft tagelang nach den geeignetsten,
wo die Knoten möglichst weit auseinanderstanden - , dann waren sie
uns gerade recht als Material für die „Pum-Büchsen“, ohne die
ein hinterpommerscher Junge eine Zeitlang nicht sein konnte.
Wieviele Stunden fleißiger Arbeit verwendeten wir für dieses
kindlich-martialische Spielzeug. Hatten wir endlich das richtige
Holunderrohr gefunden, dann ging die Bastelei erst los - der Klöppel
mußte geschnitzt werden. Aus einem Stück Kiefernholz
wurde vorsichtig und mit großer Geduld eine dünne Stange gefertigt,
die in das ausgebrannte Rohr paßte. Dabei mußte am Ende dieser
Stange aber der Klöppel so dick bleiben, daß er zum einklopfen der „Munition“
dienen konnte und auch nicht so sehr auf den Bauch drückte, denn der
sollte, neben den das Holunderrohr führenden Händen, den Druck des
Stößels auf die „Munition“ bewirken. Ja - und diese „Munition“
- das waren Pfropfen aus Kalmus geschnitzt. Einer wurde
durchgeschoben, das mußte schwer gehen, damit es später ordentlich
knallte und das Geschoß auch weit genug flog, der zweite Pfropf
wurde ins Rohr geklopft, mit dem Stößel unter Druck vorwärts
geschoben und dabei gleichzeitig gezielt. Das tat mitunter recht
weh, wenn der nasse Kalmusproppen den „Gegner“ an der
richtigen Stelle traf. Einmal, da waren wir es leid, im
tiefen und moddrigen Wasser am Seerand nahe der Badestelle nach
Kalmuswurzeln zu graben und so holten wir uns kleine Kartoffeln
hinter der Brennerei, wo die großen schweren Kartoffelwagen vom Gut
auf das Wiegen warteten. Na, ich habe das Donnerwetter
nicht vergessen, als uns Inspektor Bunge dabei überraschte. Es war ja Kriegszeit, aber die
Kartoffeln waren hier sowieso etwas Besonderes. Die Hinterpommern hatten wohl
nicht vergessen, daß der ursprünglich zwangsweise vom Großen König
Friedrich verordnete Anbau ihnen in den Hungerjahren des
Siebenjährigen Krieges und noch oft danach das Leben gerettet hatte,
wenn das Getreide kaum die dreifache Saat brachte, oder auf dem Halm
verfault war. So blieben wir doch lieber bei
Kalmus, zumal wir den für die Großmutter und die Tante öfter suchen
mußten, gehörte die Kalmuswurzel doch in die bewährte dörfliche
Hausapotheke. Wenngleich uns die kleinen
Kartoffeln immer wieder verlockten, besonders auch als Material für
die Schwingschleudern. Ansonsten spießten wir im Herbst
Kastanien auf die Spitze des langen Drahtes, der an einer
Haselnußrute befestigt war und mit dem wir nicht nur weit auf den
See schleudern, sondern auch nach einiger Übung ziemlich sicher
treffen konnten. Wie oft waren diese Drahtschleudern das einzige
Hilfsmittel, um abends die Enten und Gänse noch rechtzeitig vom See
zu holen, wenn wir über den langen Spielen bei den Torflöchern oder
der großen Kieskaule unsere Pflicht vergessen hatten. Ja, so war das damals - und beim
Nachdenken überfällt mich die Erinnerung schwer und schmerzlich, und
ich sehe noch den Großvater, wie er bei den seltenen Spaziergängen
achtungsvoll grüßend die Mütze vor einem großen Holunderbusch zog,
galt der doch in der Heimat und weit darüber hinaus als etwas
Besonderes, als lebende Apotheke und Bann gegen die überall
lauernden bösen Geister. Hoffentlich regnet es nicht am „Siebenschläfer“,
doch es scheint sich zu bessern. Drüben, über den weiten Wäldern
der Strauchheide und nach Veilchenthal zu, klart es langsam auf. Adebar hat sein Nest auf dem
Telegrafenmast am Bahnübergang nach Klein-Nakel verlassen und
stolziert aufmerksam durch die gemähte Wiese. Erster Heuduft weht
herüber. Eine Kornweihe gaukelt mißtrauisch näher. Sie scheint
nahebei im Getreide ihren Horst zu sichern. Langsam kommt die Sonne durch
und läßt überall die pommerschen Farben leuchten. Am schönsten blühen jetzt die
hohen Blütenstände der blauen Bitterlupinen am Bahndamm und die
weißen Juni-Margeriten am Wegrand. Aber auch der anspruchslose
Mauerpfeffer steht schon in voller Blüte zwischen den
Schottersteinen am Bahngleis nach Tütz und Deutsch-Krone. Hier zogen früher die Mädchen in
dem Steig neben den Schienen, auf dem sonst der Streckenläufer ging,
entlang, den „Berg“ hoch nach Ludwigsthal und pflückten ihre
Veilchen und Himmelsschlüsselchen. Die standen den ganzen Bahndamm
entlang im Frühjahr in so großer Zahl, daß es auf die paar hübschen
Sträuße wirklich nicht ankam. Ach, die „Mieken“, sie
hatten es meist mit den Blumen. Kaum öffneten sich die ersten
„Butterblumen“, dann saßen sie stundenlang auf der Wiese am See
oder beim Schloß und flochten sich Kränze und Armreifen und lange
Halsketten daraus und fanden dabei kein Ende. Wenn ich an Heimat und Blumen
denke, dann kommt mir ein Tag ganz besonders in die Erinnerung. Es war mein letzter Geburtstag
im Heimatdorf. Doch das wußte ich so wenig wie die Meisten. Was ahnten wir Kinder im Mai
1944 von den kommenden Schrecken und der Vergänglichkeit unseres
Glücks. Wir wußten ja nicht einmal, was das ist - Glück. Nahmen es
ganz selbstverständlich und lebten in unserem Paradies mit all den
kleinen und größeren Freuden. So auch ich. Und wenn’s dem glücklichen Esel
zu wohl ist, dann geht er „aufs Eis,
tanzen.“
Schon lange hatte ich für den
Biologie-Unterricht an der Hermann-Löns-Oberschule in Deutsch-Krone
die verschiedensten Pflanzen als Anschauungsmaterial auf Bitten des
alten Lehrers mitgebracht. Der wußte von den naturkundlichen
Besonderheiten an diesen Plätzen, wo, wie zum Beispiel am See, ganz
seltene Pflanzen standen, die es sonst kaum gab. Rund um unser Dorf mangelte es
erstaunlicherweise nicht an solchen Seltenheiten wie zum Beispiel
dem weißen Dorant, oder dem hier am See wachsenden, für das „Flachland“
ungewöhnlichen, schmalblättrigen Hirschholunder mit den leuchtend
roten Beeren. Entweder holte ich die Raritäten von den Torfkaulen -
aber da lauerten die scheußlichen Blutegel - oder vom Veilchenthaler
Weg, doch auch am See und hinter dem Friedhof blühte es reichlich. Und da der Lehrer mangels
anderer Lehrkräfte - es war ja Krieg - auch noch Zeichnen und
Erdkunde bei uns unterrichtete, so hatte ich in allen drei Fächern
bei ihm nur gute Zensuren und bekam für meinen biologischen Eifer
manches Lob. Das hatte allmählich dazu
geführt, daß der gutmütige, arglose Lehrer, der auch noch ziemlich
schlecht sehen konnte, mir „blind“ vertraute. So hatte ich
dann hin und wieder schon mal eigene „Kreuzungen“ entwickelt und
mitgebracht, wie z.B. „Butterblumenblüte auf
Schöllkrautstengel“ oder ähnliches, hatte mich aber immer an die
Farbgleichheit gehalten. Diese Erzeugnisse jugendlicher
Unreife stellte ich dann in das ewig leere Loch, das auf dem
Katheder für das Tintenfaß gedacht war - und harrte angespannt der
Dinge, die aber nicht kamen.
„Seht Euch das an“,
hieß es bloß, und fertig waren wir damit. Nun saß ich am Geburtstag im
Garten bei der großen Eiche, der riesige Fliederbusch blühte im
schönsten dunklen Rot und schickte nicht nur seinen süßen betörenden
Duft über den mit Streußelkuchen und Kakao bestellten Tisch, auch
seine vollen Blütenstände hingen schwer zu uns herunter. Fliederblüten, einzelne kleine
Blüten saugten wir in jener Zeit gern aus, um die Süße des Nektars
zu schmecken. Damals kam mir ein anderer
Gedanke. Am nächsten Tag hatten wir „Bio“;
Biologie-Unterricht stand auf dem Stundenplan, ich sollte wieder mal
etwas mitbringen und mußte handeln. Wieviel große Stücken
Streußelkuchen passen in einen hinterpommerschen Jungen? Viele, sehr viele, solange der
Vorrat reicht, und:“ Jung, schling doch nicht so“, hieß es
heute.
„Dich nimmt doch keiner was
wech.“ Das war ein oft gehörtes,
wohlgemeintes Wort der Großmutter, denn Streuselkuchen, oben mit
vielen und dicken Streuseln, die man so nach und nach abpolken
konnte, das war meine „Leib -und Magenfreude“. Aber heute hatte ich es eilig. Schon gleich hinterm Dorf, bei
der Badestelle, standen die großen Fuhren, auch Krüppelkiefern
genannt, in denen wir sonst nach Herzenslust zwischen den Badegängen
rumturnten. Diesmal brauchte ich nur einen
Zweig, aber einen ordentlichen, und schon ging’s wieder an den
Kaffeetisch im Garten. Der war inzwischen abgeräumt, auch besser so,
ich konnte keine Störung gebrauchen bei meinem folgenden Werk. Mühsam steckte ich dann
Fliederblüte um Fliederblüte auf die Spitzen der Kiefernnadeln und
verbrachte so den ganzen kostbaren Sonntag-Geburtstags-Nachmittag
mit dieser Fleißarbeit. Anschließend hüllte ich den
wundersamen Strauß in Papier. Am anderen Morgen hatte ich mal
nicht verschlafen, trug vorsichtig mein Bukett zur Bahn und stellte
es später im Papier ins Tintenfaßloch. Ach, es war wohl „eine Nummer
zu groß“, was ich vorhatte. Der gute alte Pauker kam,
stutzte, entfernte das Papier, schob die eine Brille über die Stirn,
nahm die andere vor, wechselte erneut, schüttelte weniger
mißbilligend als enttäuscht den weißhaarigen Kopf, setzte sich und
öffnete das große Klassenbuch. So bekam ich einen verdienten
Tadel von einer Seite, von der ich das bisher nicht kannte, und
meine Zensuren in den drei Fächern fielen von da an merklich ab.
Mein „Fleiß“ wurde nicht belohnt. Der Flieder hatte auch wahrlich
Besseres verdient. In jedem Vorgarten und in den
Hecken am Bahnhof und rund um Schloß und Gutshaus leuchteten im Mai
seine Blütenstände, weiß, lila oder rot, einfach oder gefüllt
blühend, wild oder hier und da auch veredelt. Ein besonders großer
Busch stand auf dem Mühlenberg und war so weitragend und dicht, daß
wir Kinder uns in ihm verstecken konnten. Man mußte alle diese
Fliederbüsche einfach gern haben, so, wie sie unaufdringlich und
doch schmückend, die Gärten, Wege und Straßen einhegten. Von wievielen hinterpommerschen
Dörfern konnte man wohl nicht sagen, daß ihr Name ebensogut auch „Fliederhagen“
oder „Fliederdorf“ hätte lauten können. Vom Flieder stammten auch die
„Fletschen“, die kleinen Gabeln für die Katapulte, mit denen wir
den Spatzen und Staren Sommers nachstellten. Darin waren wir Meister, und die
Sperlinge schimpften aus der sicheren Hut der Dachfirste und
Eckbalken des Gutshofes, denn dort durften wir uns mit den
Steinschleudern nicht sehen lassen. Blutrot standen bald darauf in
den Gärten die Büsche der Bauernpfingstrosen, dann das Löwenmaul und
der Goldlack, und vieles andere blühte in bunter Folge. Eine
Gartenblume ist mir so in der Erinnerung geblieben, daß ich mir
heute meinen Garten nicht ohne sie vorstellen kann: die Bartnelke.
Wenn ihre bunte Vielfalt zu blühen beginnt, dann weiß ich einen
heimatlichen Farbtupfer in meiner Nähe und bin der bescheidenen
Strauß- oder Kaisernelke dankbar. Das stille unscheinbare Blühen
der riesigen Kiefernwälder bemerkten wir erst, wenn nach einem
nächtlichen Regen die Ränder aller Pfützen gelb leuchteten. Dann
wurden wundersame und geheimnisvolle Dinge über die seltsame
Erscheinung erzählt, und wir Kinder lauschten mit vor Aufregung
hochroten Ohren. Hatte weithin der Roggen
geblüht, wie Dunst wellten die Pollenschwaden über den leicht vom
Wind bewegten Feldern, dann begann bald auch das Wunder der gelben
Lupinen. Bis an den Horizont leuchtete es
goldgelb, wie in stiller Würde schienen die riesigen Felder die
Farbe zu tragen, einem goldenen Banner gleich, unbewegt und doch
stolz bot der karge heimatliche Boden sich der neuen Frucht, die
sowohl den Acker wie das Viehfutter bessern sollte, löste doch diese
„Süßlupine“ allmählich die „Bitterlupinen“ in der Landwirtschaft ab. Jetzt begann in den Hecken und
an den Wegrändern das zarte Blühen der Heckenrosen. Hellrosa oder fast weiß, hier
und da auch ins rötliche weisend, blühten in zunehmender Fülle die
„Hundsrosen“. Welch ein Wunder öffnete sich den suchenden, zum Sehen
bereiten Augen. Erst sehr viel später wurden mir
die Worte Ortega y Gasset’s bewußt:“ Alles in der Welt ist
wunderbar für ein paar wohlgeöffnete Augen.“ Diese
Wildrosenbüsche färbten das stille Land ein zweites Mal mit
blutroten Malen, wenn der Herbst die Hagebutten reifen ließ. Dann
hieß es sammeln, was die stachligen Sträucher boten.
Hagebuttenmarmelade sollte für die vitaminarme Winterszeit
entstehen, und in manchem Haushalt wurde aus den entkernten Früchten
ein wohlschmeckender Wein angesetzt. Wir Kinder hatten unsere
Belustigung mit den Kernen. Als „Juckpulver“ bestens
bekannt, dienten sie zur gegenseitigen Neckerei, und es konnte zur
Qual werden, wenn man während des Unterrichts ein bißchen davon in
den Nacken bekam. Und noch ein paar bedeutsame
Farben schmückten das stillschöne Land zwischen Oder und Küddow,
Ostsee und Netze. Wenn die Kartoffelfelder in
ihren vorherrschenden Farben weiß und lila zu blühen begannen, dann
lag gleichzeitig ein zunehmend stärkerer, weit mit dem Wind
ziehender Duft über der von dunklen Wäldern und lockenden Seen
unterbrochenen Weite, der herbsüße Geruch des Kartoffelkrauts. Wo sonst blühten die scheinbar
unendlichen Kartoffelschläge so lebhaft wie dort bei uns in
Hinterpommern? Von den sandigen Böden dieser deutschen Provinz kamen
die besten, die gesündesten Kartoffeln. Hinterpommern machte das
übrige Deutschland „kartoffelsatt“.
Unauslöschlich haben die Farben
dieser Felder und der herbe Duft der blühenden Kartoffeln sich tief
in das Gedächtnis und die Herzen eingebrannt, waren sie doch
Hoffnung und Mahnung zugleich. Hoffnung auf eine gute Ernte,
denn wo in unserem Vaterland spielte die Kartoffel in Ernährung und
Wirtschaft eine größere Rolle, wieviele Menschen hatten durch sie
Lohn und Brot, sei’s auf den Gütern oder in den Brennereien, - und
Mahnung, daß es nun bald wieder mit dem Sommer vorbei sein und die
schwere, mühselige, wochenlange Arbeit mit der Hacke oder hinter dem
Roder beginnen würde. Und es dauerte auch nicht mehr lange, dann lag
über vielen Dörfern und den kleinen Städten der Geruch nach Schlempe,
der monatelang aus den Brennereien dunstete. Vorher aber standen an
den Abenden auf den abgeernteten Kartoffelfeldern die hohen weißen
Fahnen der Kartoffelfeuer im Land und ihr unverwechselbarer Geruch
wehte herb aber sanft durch die Dörfer. Erntedankfest kam heran. Die
Schnitterinnen und Schnitter auf dem Gut hatten die Gabeln und
Sensen mit bunten Blumensträußen ebenso wie die Erntewagen
geschmückt und von den Altären unserer Kirchen dankten die Sträuße
in den Erntegaben Gott für seine Güte. Dann leuchteten wohl die bunten
Dahlien an den Gartenzäunen, die schweren Blütenköpfe der fremden
und doch so beliebten kartoffelähnlichen Pflanzen nickten über den
Staketen, und in den Vorgärten standen eher bescheiden und doch
unübersehbar in wochenlangem treuen Blühen die Sternchenastern in
vielfacher stiller Schönheit. Fahre ich heute durch die
zumeist ergeben in ein schweres Schicksal ohne rechte Hoffnung
hindämmernden Dörfer meiner Heimat, dann grüßt noch vereinzelt ein
alter, von den neuen Bewohnern kaum beachteter Flieder, lockt noch
ein bunter Sternasternbusch hinter dem verfallenden Zaun, als wollte
er sagen - nimm mich doch mit, was soll ich hier noch, und der
Holunder hat alle seine jahrhundertealte, lange Wertschätzung im
Volke verloren. Warum grüßte der Großvater einst achtungsvoll den
weißblühenden geheimnisvollen Hollerbusch? Wußte er noch etwas vom alten
germanischen Volksglauben um die sagenhafte Kraft und Heilfähigkeit
des der Freya geweihten Strauches? Fiebersenkend war ja nicht nur
der Tee aus seinen Blüten, sondern auch der Saft seiner Beeren. Holundersekt aus den Blüten,
Holunderwein aus den reifen Früchten verstand die Großmutter zu
bereiten - und, so ging die Sage -, ein Holunderzweig in der Kirche
an der Kleidung getragen, sollte gar helfen, das zauberische Wesen
eines Menschen zu entdecken, der „mit dem
Teufel im Bunde war“.
Viele Blütenpflanzen in Wald und
Feld und auch in den Gärten hatten diesen Ruf. Sie konnten heilen oder
verderben, schön oder unsichtbar machen, weisen oder bannen, je
nachdem, wer und wie sich „Eine“ ihrer bediente. Denn das
hatte sich seit langem im Volksglauben erhalten, seit dem Vordringen
des Christentums in die germanischen Siedlungen: jene, die einst heilten, die
weisen Frauen, die „Heilerinnen“, sie wurden zu „Hexen“
verschrien und bald landweit grausam verfolgt. Johanniskraut und Tollkirsche,
Schöllkraut und Kalmus, Bilsenkraut und Stechapfel, Butterblume oder
„Pferd und Wagen“, wie der blaue Eisenhut auch genannt wurde,
sie alle und noch viele andere mehr hatten ungeahnte Kräfte in der
Hand der kundigen Kräuterfrauen. Blühender Salbei füllte manche
Gartenecke und ließ den alten lateinischen Spruch wahr werden, der
da sagte:“ Warum soll ein Mensch sterben, der Salbei im Garten
pflegt.“ Die Brennessel stand, nicht nur
als Futter für Gössel und Enten, in hohen Ehren. Magenfreundlicher
Wermut blühte am Dorfrand unter den hohen Pappeln, und die düstere
Thuja, der Lebensbaum, sollte, besonders vom Friedhof geholt, die
unerwünschte Frucht verbotener Liebe verhindern, doch tötete sie
nicht selten die Hoffende. Ein Kranz von gelben „Katzenpfötchen“,
den „Unsterblichen“, an die Haustür gehängt, „schützte vor
Blitzschlag“. Manches Blühen wurde mit der
Maria - Mutter Gottes sehnsüchtig verbunden: Marienkraut,
Mariendistel und manche andere Pflanze, einst den Germanen heilig,
wurde so vor dem Kirchenbann gerettet, weil sie der Maria geweiht
waren. Doch Birken und Kalmus schmückten zum hohen Pfingstfest die
Türen und Schwellen der Häuser, um bösen Geistern den Zutritt zur
Wohnung zu wehren, und an den Stalltüren bannte ein Eiben- oder
Wacholderzweig den krankmachenden Einfluß übelwollender zauberischer
Kräfte. So war, unbewußt oft, im Volk der alte Glaube lebendig
geblieben und lebte ziemlich unbehelligt neben den christlichen
Zeichen. Wacholder gab es reichlich in der Strauchheide. Von ihm
hatte sie wohl den Namen. Hermann Löns, unsterblicher Sohn der
Deutsch-Kroner Landschaft, war ja auch der Dichter und Sänger dieser
geheimnisvollen Wald- und Heidegestalten und nannte sie wie der
Vorpommer Philipp Otto Runge - Machandel. Wie Schemen grünten die
dunklen Säulen aus dem Dämmerlicht des Hochwaldes, und wenn im
Herbst die Nebellaken in den Bäumen hingen, dann schienen sich beim
Pilzesammeln die düsteren Wesen zu bewegen. Der Spitzwegerich, an den Hängen
zum See vereinzelt blühend, „nähte die Wunden mit goldener
Nadel“, wenn die kräuterkundige Tante die Schürfwunden und
anderen kleinen Verletzungen mit einem Brei aus seinen Blättern
behandelte. Ebenso wirkte der Honig, der an mehreren Stellen im Dorf
in Körben oder Bienenhäusern von den fleißigen Immen erzeugt wurde. Den schönsten und
schmackhaftesten Honig bereiteten die Bienen aus dem Nektar der
Lindenblüten. Wenn im Dorf, am Bahnhof und im Park die Linden
blühten, dann strömte tage- ja wochenlang balsamischer Duft von den
hohen Bäumen durchs Dorf, und wir Kinder pflückten mit der
Großmutter tagelang Lindenblüten für den Tee. Dann summte es morgens
und abends in den schattenspendenden Riesen vom Fleiß der
ungezählten Bienen und Hummeln. Unscheinbar blühten im Wald die
Himbeeren und die weiten Flächen der Blaubeeren und doch zauberten
diese Blüten später den Reichtum der beerenvollen Eimer und
Schüsseln für Saft und Marmelade. Thymian bedeckte fleckenweise
die sandigen Grashänge, und seine besondere Abart, der
Zitronenthymian, aber auch der Quendel standen an den Rändern der
Waldwege nach Tütz. Einer stillen, den Herbst
schmückenden Waldblume müssen wir Pommern besonders gedenken: des
Heidekrautes. Wenn sein Blühen begann, dann rüsteten die Störche und
Kraniche allmählich zur Reise nach dem Süden, und die Schwalben im
Dorf sammelten sich unter hellen Rufen, um bald ihre Nester den
Spatzen zu überlassen. Ein Sträußchen Erika schmückte dann manchen
Hut oder stand zur Erinnerung bis zum nächsten Jahr in einer Vase im
Zimmer. Viel, ach so unendlich viel
ließe sich über die Blumen und Blütenwunder unserer geraubten Heimat
noch sagen. Sicher hat mancher ganz andere Blumen und Blüten in
seiner Erinnerung, den Rosenbusch vielleicht, der vor seinem
Elternhaus Jahr um Jahr in nicht enden wollender Pracht prangte, die
Stockrosen, auch Malven genannt, die an den besonnten Hauswänden
standen, oder die bunten, den Salat zierenden Blüten der
Kapuzinerkresse. Laßt uns diese Farben in der Erinnerung wach
halten, solange noch Leben in uns ist. Hier und da lockt im Frühjahr
noch ein alter Apfel- oder Birnbaum mit seinen Blüten, der uns schon
als Kinder begleitet hatte und auf seine Früchte hoffen ließ. Noch stehen die alten
Kastanienbäume der Alleen majestätisch und stecken Jahr um Jahr,
zeitlos, immer wieder die Pracht ihrer weithin leuchtenden Kerzen
auf. Wie lange noch? Schon haben achtlose Hände Feuer
an sie gelegt, so, wie sie die alte 700-jährige Eiche im Dorf
mißhandelten und verschandelten und die über 1000-jährige
denkmalsgeschützte Eiche im Buchwald bei Deutsch Krone verbrannt
haben. Noch blühen die mächtigen Linden
am Bahnhof, erleben wie früher so jetzt die Reisenden und grüßen die
Ankommenden. Von den einst in dichter Reihe
stehenden gewaltigen Pappeln am See kommt das weithin bekannte Echo
nur noch schwach. Zu viele sind der Axt und dem Feuer zum Opfer
gefallen. So stirbt Busch und Baum und die
Erinnerung und wird Vergänglichkeit wie unser Leben und unser Andenken an ein
Pommernland, das wir Heimat nennen, solange wir sind.
Dr.
Wolfgang Köpp
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Endlich wieder mal daheim!
Es ist Abend geworden. Wie in jedem Jahr sitze ich -
wie lange hatten wir uns darauf gefreut - wieder bei meinem
Imkerfreund Stanislaw in Harmelsdorf auf der Bank vor dem alten
Bauernhaus, trinke Tee mit Honig und Blaubeersaft und bin glücklich,
einfach glücklich, wieder in der Heimat zu sein. Leicht ist mir plötzlich. Alle
Sorgen scheinen dahin, alle Beschwerden vergessen. Ich fühle mich nur unglaublich
wohl. Schon auf der Herfahrt schien es
uns beiden, als würden wir mit jedem Kilometer nach Osten Manches
hinter uns lassen, was uns solange bedrückt hatte. Heinz Schulz, mein Freund aus
dem Nachbardorf und Reisebegleiter auf diesen jährlichen Reisen nach
Deutsch Krone und Umgebung hat sein jahrzehntelanges Quartier in
Moritzhof bezogen. Wie schön ist dieser Abend im
Heimatdorf! Nach der glutbrütenden Hitze des
Tages kommt vom nahen See die frischere Luft und bringt zugleich den
bezaubernden Duft der Linden. Und die Erinnerungen kommen mit dem
Balsam der Apotheken Gottes. Erinnerungen an die Tage, wo wir Kinder
unter Anleitung der Großmutter die Lindenblüten für den
fiebersenkenden, heilsamen Tee pflückten, und wo die Bienen aus den
Körben des Lehrers und den Beuten der anderen Imker des Dorfes bis
in die Nacht in breitem Strom zu den nektarspendenden Bäumen flogen,
und wir so im Winter an besonderen Tagen den köstlichen Honig zum
Frühstück hatten oder die Pfefferkuchen den verlockenden
Wohlgeschmack bekamen. Zwar war da ja noch die Kreude,
deren kräftige Süße unseren Frühstücksbroten und mancher Sorte
Pfefferkuchen ein besonderes Aroma verlieh, aber Honig, welch ein
unvergleichlicher Genuß, wie kostbar war das einst! Daran muß ich jetzt denken,
während der Abend ins Dorf kommt und die Ruhe bringt, allmählich der
Tageslärm verebbt und von anderen, leiseren Stimmen abgelöst wird. Auf dem First der alten Scheune
sitzt der Hausrotschwanz und singt eine letzte Strophe, ein
Ackermännchen, immer aufgeregt mit dem Schwanz wippend, holt sich
einen Schluck Wasser aus der Regentonne, letzte Schwalben wollen
noch rasch ein paar Insekten greifen, die Kohlmeise füttert
unentwegt im hohlen Zaunpfahl am Garten die Jungen. Die wenigen
Spatzen schlafen längst, - da kommt eine erste Fledermaus gesegelt. Die Stimmen der Nacht verwischen
alle bedrückende Fremdheit und lassen die Stille nur spürbarer
werden, derweil der Waldkauz aus dem hohen Holz am Tützer Landweg zu
rufen beginnt. Es ist Zeit schlafen zu gehen,
denn morgen ist wieder ein Tag. Und im Einschlafen kommt der
Gedanke, der zugleich die stille Hoffnung birgt: Wie viele solcher
Tage in der Heimat wird uns unser HerrGott noch geben? Daß wir dabei dem Klein Nakeler
Friedhof einen Besuch abstatten, ist wohl selbstverständlich. Aber
auch hier das gleiche, zu oft bedrückende, immer wieder schmerzlich
erfahrene Bild: Der alte deutsche Friedhof in wucherndem Gebüsch und
hohen Nesseln, die Steine abgeschlagen; demgegenüber der neue
polnisch-katholische Friedhof, trotz der Armut der Bevölkerung
blendend in Stein und Marmor gesetzt, mit zahllosen Kunstblumen
verziert und von hunderten Gedenklichtern geschmückt. Da werden wir
wohl noch lange auf den erhofften Segen der Ökumene warten müssen. Dafür empfängt uns am anderen
Ende des Kreises - reisen macht ja bekanntlich hungrig und durstig -
hinter Freudenfier, in der einstigen Försterei Schönthal, die sich
schon lange zu einem einladenden Restaurant gewandelt hat, eine
freundliche junge Frau und verwöhnt uns mit gutem Essen und einem
kühlen Bier. Ja, sagen wir beide wie aus einem Munde, den Ort kann
man weiterempfehlen. Hier läßt sich’s gut rasten. Wie gut, daß wir
so gestärkt zum Löns-Denkmal weiterfahren. Der Anblick ist von Mal
zu Mal schmerzlicher. Noch höher eingewachsen von Wildkräutern und
Gezweig ist nun kaum noch die verlogene Schmiererei zu lesen,
angesichts deren Inhalt man ihnen mit ihren eigenen anonymen Worten
auf unserer Internet-Seite nur ebenso antworten kann: „ Marzy wam
sie“, ihr träumt wohl! Da hat der Bürgermeister wahrlich recht, wenn
er bedauert, den Touristen keine Denkmäler mehr zeigen zu können.
Die Hitze ist so stark, daß die
Bienen, noch immer trotz großer Absatzschwierigkeiten für den Honig
in vielen Dörfern gehalten, immer mühseliger in den zahlreichen
Linden nach Nektar suchen, denn die Blüten beginnen zu vertrocknen.
Und so lungern sie in breiter Front vor den Kästen herum, Kühlung
suchend. So wie die vielen Arbeitslosen in den Dörfern, die jetzt
weder Pilze, noch Waldhimbeeren oder Blaubeeren finden und auch
deshalb den Tag vor einem der kleinen Kaufläden verbringen. Man ist
bei dieser Gluthitze an Storms „Regentrude“ erinnert, so hat der
Juli das weite Land in seinen Bann genommen, und diese ungute Hitze
läßt das Getreide rascher reifen. Da werden wohl Gerste, Roggen und
Weizen fast zur gleichen Zeit unter die Messer kommen. Was wir beide, soweit wir
fahren, vermissen, sind die Kartoffelschläge. Wohl blühen sie zur
Zeit fast überall in den Gärten, und ihr schwerer Duft kommt ringsum
über die Staketenzäune -, und auf dem Markt werden sie in den
verschiedensten Sorten für billigsten Preis angeboten -, doch im
weiten Land zwischen Freudenfier und Schloppe, Märkisch Friedland
und Harmelsdorf, Deutsch Krone und Tütz suchen wir beinahe
vergeblich nach dieser einstigen Haupttracht unserer alten Heimat. An diesem Tag wollen wir - wie
gewohnt und erwartet - unsere Besuche bei den in der Heimat
gebliebenen Landsleuten abstatten. Leid und Freude wechseln dabei
einander ab; sie wollen soviel erzählen, fragen, einfach zu kurz ist
die Zeit für jeden Einzelnen zwischen Sagemühl und Marthe. Aber dann, ganz unverhofft,
kommt ein Hinweisschild. Da steckt doch das Wort „Birke“ drin?
Danach suchen wir vergeblich jenen Ort Birkholz, wo meine Großeltern
gemeinsam zur Schule gegangen waren und später geheiratet hatten.
Die väterlichen Vorfahren in Birkholz - weit hinter den Wäldern von
Marthe aus? Wir fahren hin, geleitet von einem deutschstämmigen
Förster aus Marthe, dem wir zufällig auf dem elterlichen Hof
begegnen. Zwischen zwei weit auseinander stehenden Ortsschildern ein
paar versprengt liegende Gehöfte, einige alte Gutsstallungen, viel
mehr ist da nicht zu sehen am Rande des National-Parks. Nein, hinter
Marthe das kleine Vorwerk ist es nicht, also werde ich wohl bei
Falkenburg nahe Groß Sabin weitersuchen müssen. Der weite sandige
Weg durch diesen Park zurück läßt die Gedanken im einstigen Vorwerk
verharren
Immer erneut zieht es den Freund
und mich an den Böthin-See. Der buchtenreiche, stellenweise
von hohen Ufern und Wäldern umgebene geschützte See hat seine
zeitlose Schönheit behalten, doch zu unserem Erstaunen den Großteil
seiner einst reichen Vogelwelt verloren. Das gleicht dem Bild in
vielen Dörfern. Ach Löns, denke ich, wieviel
würdest du heute in unserer gemeinsamen Heimat noch aufzählen
können? Der letzte gemeinsame Tag sieht
uns noch einmal über die Märkte in Tütz und Deutsch Krone bummeln
und die farbige Vielfalt genießen. Wir werden wiederkommen,
versprechen wir uns. Solange uns die Füße tragen!
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Mehr noch als die Bäume,
Sträucher, Pflanzen und Blumen bedeuteten uns Kindern die Tiere. Ob sie unsere Spielgefährten
waren oder wir sie zu beaufsichtigen, zu hüten, zu pflegen hatten,
sie haben sich in den Gedanken festgekrallt und leiten uns noch
heute oft wie an unsichtbaren Fäden heim. Für manchen unter uns
wurde diese Erinnerung später zum Anlaß, einen Beruf zu ergreifen,
bei dem man mit ihnen arbeiten konnte, mit ihnen ständig zu tun
hatte, ihnen nahe sein konnte.
Die Tierwelt unserer Dörfer
einst und jetzt
Denke ich zurück an die
Kindertage, dann kommen mir zuerst die Hunde in die Erinnerung. Alle
die Harras und Senta, Wassa und Molli, Graumann und Lolli, Lux und
Greif, die uns auf unseren Ströpgängen und bei den kindlichen
Spielen begleiteten oder beim Kühehüten an unserer Seite waren – und
dann natürlich auch unsere Katzen. Doch mit denen hatten es mehr
unsere Mieken, die Mädchen. Später waren es die Pferde, die
wir schon mal putzen und aufschirren, oder beim „Bettauführn“ im
Kartoffelherbst an der langen Leine führen durften. Durften wir ihnen aber ein
Futter am Nachmittag vorschütten, oh, wie wir uns dann fühlten.
Pferde auf Kietzmanns Hof in
Hoffstädt
Und natürlich hatten wir fast
alle Kaninchen. Da holten wir auch das Futter gern, anders als im
Frühjahr, wenn wir der Großmutter helfen mußten beim
Brennnesselpflücken für die Gänse- und Entenkückenscharen.
Doch es gab ja so unendlich viel
mehr zu sehen und zu hören von all dem Tierleben um uns. Mit dem Frühjahr kam der Storch,
um seinen Horst auf dem alten Strommast am Landweg zum Nachbardorf
wieder herzurichten. Wir glaubten, seit wir Karnickel
hielten, schon lange nicht mehr an den „Klapperstorch“, aber wir
liebten ihn, war er doch ein Teil des ersehnten Frühlings.
Bald waren auch die
Rauchschwalben wieder in den Stallungen beim Bauen zu beobachten
oder an den Pfützen der Dorfstraße, wo sie sich das Baumaterial für
ihre kunstvollen Nester holten. Doch schon lange bevor Storch
und Schwalben aus ihren Winterquartieren zurückgekehrt waren, hatten
die Kraniche sich mit ihren weithallenden trompetenden Rufen
angekündigt.
Der Storch, ein
häufiger Bewohner unserer Dörfer
Dann bevölkerten sich die Wiesen
und Äcker mit Kiebitz- und Starenscharen, deren große Flüge beinahe
den Himmel verdunkelten. Bald darauf konnte der aufmerksame
Beobachter den „Pommernadler“ entdecken. Der war zwar recht
heimlich, doch wenn er sich an der Waldkante im Aufwind
hochschraubte, dann leuchtete unverkennbar sein rostrotes Gefieder
in der Sonne. Nach den Rauchschwalben kamen
die Mehlschwalben und bauten unter den Dachvorsprüngen bei den
Ställen und der Stellmacherei, und sie sangen uns abends ihre
kunstvollen, schnellzwitschernden Lieder, zu denen die Eltern und
Großeltern uns Kindern passende Reime aufsagten. Am häufigsten im Dorf waren die
Spatzen und Feldsperlinge. Die nisteten überall und zumeist, wo sie
nicht sollten, verdrängten Meisen und andere Höhlenbrüter aus den
liebevoll von den Menschen gezimmerten Nistkästen und schilpten vom
frühen Morgen bis zum zeitigen Abend aus allen Hofecken und von den
Dächern. Die Grünfinken schnirrten aus
der Fliederhecke, Haus- und Gartenrotschwanz knicksten von einem
Gartenpfahl oder sangen vom Scheunendach, der Buchfink zwitscherte
seine Lieder aus den Linden, und die Mädchen behielten rasch den
Reim auf seine schmetternden Strophen: „ Bin ich nicht ein
schöner Bräutigam.“ An was diese Mieken aber auch dachten! Ganz früh am Morgen, wenn sich
die Haushunde von ihrer nächtlichen Unterhaltung ausruhten, der Igel
ein letztes Mal hastig-schurrend den Garten durchtrippelte und die
Dämmerung das Heimatdorf noch einhüllte, sang die Amsel schon von
der höchsten Spitze der Alten Eiche oder vom Kreuz auf dem
Kirchendach. Das war wohl das Signal für die Frühaufsteher auf dem
Dorfsee und am Waldrand. Die Bleßhühner begannen aufgeregt aus dem
Schilf zu schricken, der Zwergtaucher rief hallend, sodaß es auch
den Zaunkönig nicht mehr hielt und er aus seinem Versteck im Garten
mit seiner lauten Stimme, die man dem kleinen Vogel gar nicht
zutraute, das Frühkonzert der vielen Sänger eröffnete. Die Nacht
durch hatten die Sprosser gesungen, nur begleitet oder unterbrochen
vom Käuzchen, dem „Totenvogel“, wie die Alten es nannten, weil es
immer rief, wenn irgendwo im Dorf des Nachts Licht hinter einem
Fenster brannte, oder den Rufen der Waldohreule, die hohl und laut
aus dem nahen Park lockte. Im Winter, wenn der Mondschein
um die Dächer floß und sein fahles und doch so beruhigendes Licht
durch die Gehöfte und Gärten wanderte, sah man die Schleiereule, wie
sie um Scheunen und Stallungen schwebte, um nach den Mäusen zu
sehen. Diese Nachtgreife, wie unser Förster sie nannte, wurden
tagsüber von den vielerlei Taggreifen, den Bussarden, Turmfalken,
Weihen, dem Habicht und dem Stößer, wie der Sperber genannt wurde,
abgelöst. Die segelten hoch am Himmel oder gaukelten niedrig über
den Feldern und Brüchern; doch manchmal schoß der Stößer
blitzschnell durch die Gärten und Gehöfte und brachte den heillosen
Schrecken unter die Spatzenschar oder die Haustauben. Dann warnte
der Hahn auf dem Hof, und die Hühner verkrochen sich ängstlich unter
den Hecken oder dem Laufgang der Brennerei. Die Gänse und Enten waren schon
lange aus den erwachenden Gehöften zum See getrieben worden und
lagen nun in großen weißgrauen oder bunten Pulks auf dem Wasser. Die
Schwäne aber hielten sich abseits. Den stolzen Vögeln schien das
Geschnatter und Gewusel nicht recht.
Schwäne auf dem
Heimatsee
Nur wenn ein Trupp Gänse ihrem
Nest im hohen Schilf zu nahe kam, dann zischten sie aufgeregt,
plusterten sich und segelten hochgereckt und drohend heran.
Uns Kindern hatten es die „Düker“,
die Taucher angetan, und wir riefen ihnen beim heimlichen Angeln
oder Kalmusholen immer wieder mal unser „Düker, Düker, unnern
See“ zu. Stockenten gab es auf dem See nicht allzu viele. Die
nisteten unbesorgter in den ruhigeren, bültenreichen Torflöchern bei
den Verlorenen Gründen. Manchmal stelzte dort auch ein Fischreiher
langsam durch das Flachwasser, um sich seine Mahlzeit zu holen.
Im Schilf unseres Sees sang
unentwegt der Karrekiet, während sein kleinerer Verwandter, der
Teichrohrsänger, aus den Torfkauhlen lockte. Dann dauerte es meist
nicht lange, und der Kuckuck rief dort nach seiner Frau, damit sie
rasch den kleinen Sängern ein Ei unterschieben konnte. Dann war ein
kicherndes Lachen zu hören, und wir glaubten, es sei Schadenfreude.
Doch zugleich zählten wir – ganz wie die Alten – die Kuckucksrufe.
Mit dem Klappern des Geldes in den nicht selten löchrigen
Hosentaschen war das man so eine Sache. Die paar Pfennige, die wir
stolz unseren ganzen Besitz nannten, gaben wir immer viel zu rasch
beim Kaufmann für Lakritze, Brausepulver oder, wenn es mal ein
Fünfziger war, für eine der beliebten Wundertüten aus. Da war also
kaum was mit dem Geldklimpern beim ersten Kuckucksruf, aber wir
freuten uns trotzdem, wenn wir ihn hörten, denn nun war Schluß mit
den dreiviertellangen Knieschwenkern, den langen Strümpfen samt
verhaßtem Leibchen. Das war die Zeit, wo auf den Wiesen und bei den
Torflöchern die Himmelsziegen meckerten, wenn sie im Sturzflug
herumgaukelten. Stundenlang konnte man ihnen, während man, versteckt
im Schilf sitzend, heimlich angelte, bei diesen Balzflügen zusehen.
Wenn wir etwas nicht kannten aus
der Tierwelt, dann lasen wir bei nächster Gelegenheit im Hermann
Löns nach. Der stand beim Großvater auf dem Bücherbord in der
Altenteilstube, und wir taten sehr gewichtig gegenüber unseren
Freunden, hatten wir eine Vogelart oder andere Tierart benennen
können. Der Mai war überhaupt eine schöne Zeit. Jeder von uns hatte
dann eine oder mehrere Zigarrenkisten oder Schachteln voller
Maikäfer, und wir tauschten schon mal untereinander die
verschiedensten Farben. Dann war uns kein Suchen bei den
Johannisbeerbüschen oder Kastanien zuviel. Hörten die Kuckucksrufe auf, es
war die Zeit, wenn die Tauben ihre Jungen heranfütterten, dann
meinten die Alten im Dorf immer erneut, daß der Kuckuck sich zum
Stößer gewandelt hatte und nun den Tauben nachstellte. Sie sahen
sich ja im Flugbild und auch sonst zum Verwechseln ähnlich. Auf den Dächern ruhten sich die
Haustauben von ihren Formationsflügen über dem Dorf aus, und
Ringeltauben mit ihrem schönleuchtenden Gefieder und kleinere, uns
weniger bekannte, flogen unruhig zwischen den Feldern. Auch einzelne
Elstern, Nebelkrähen und manchmal ein Kolkrabe fielen uns auf. Die
Elstern standen ebenso wie die Krähen als üble Eierräuber in Verruf,
doch die Großmutter behauptete außerdem, daß ihr die Elstern einmal
einen silbernen Kuchenlöffel von der Tafel im Garten stibitzt
hätten. Wenn man doch mal in solch ein Elsternnest gucken könnte,
dachten wir; vielleicht daß da ein Schatz zu finden sei. Aber die
überaus vorsichtigen, aufgeregt schackernden, schwarzweißen Vögel,
ein polnischer Kutscher nannte sie Preußenfasanen, bauten ihre
kunstvollen dichten Nester zu hoch in den Pappeln am See und den
Linden am Bahnhof. Finken, Kohl- und Blaumeisen
suchten und sammelten eifrig in den Gärten, der Kleiber, die
Spechtmeise, turnte ebenso wie der kleine Baumläufer
kopfüber-kopfunter in den Kastanien am Weg, und aus den Obstbäumen
und Hecken sangen die verschiedensten Grasmücken, die wir aber –
außer dem fortwährend plappernden „Müllerchen“ - kaum unterscheiden
konnten. Das war mit den Spechten in Park
und Wald etwas ganz anderes. Den Buntspecht kannten wir alle. Doch
da waren ja noch der große Schwarzspecht mit seiner feuerroten
Kopfkappe und der spöttisch lachende Grünspecht, denen wir mitunter
beim Pilze- oder Kräutersammeln begegneten oder sie bestaunten, wenn
sie weithallend an hohen Bäumen trommelten. Im Garten und auf der Dorfstraße
trippelte eilfertig und mit wippendem Schwanz das fleißige
Ackermännchen, die Bachstelze. Ihr Nest fand sich unschwer in einer
Mauerlücke der Feldscheune oder im Dachwinkel des Schuppens Abends, wenn wir müde von den
Spielen oder der Arbeit vor dem Haus auf der Bank saßen und vor uns
hinträumten, kamen mit der Dämmerung andere geflügelte Dorfbewohner
und segelten oder zickzackten in schnellem Gaukelflug um die
Gehöfte. Fledermäuse. Die Alten erzählten Schauergeschichten davon,
wie sie dem einen oder anderen in die Haare geraten waren. Tagsüber
hingen sie kopfüber im kühlen Kartoffelkeller der Brennerei oder den
Rübenkellern des Gutskuhstalles unter der Decke und schliefen.
Zogen wir in den Wald, um Pilze
oder Blaubeeren zu sammeln, Kienäpfel zum Feueranmachen zu holen,
dann begegneten wir, wenn wir nur recht leise waren, schon mal einem
Rudel Rothirsche, ein paar Rehen, schreckten wohl auch mal im
Farnkraut nahe den Torfkauhlen eine Rotte Wildschweine auf oder
sahen Reineke davonflüchten. Über die Mümmelmänner mußten wir
lachen. Hatten wir die aus ihrem Schlaf in der Sasse gestört, dann
stellten sie sich erst sehr gewichtig und aufmerksam auf die
Hinterläufe, ehe sie mit lustigen Sprüngen davonhoppelten. Aber da gab es ja noch die
Schlangen. Auf dem Gutshof und bei den
Teichen ringelten sich Ringelnattern davon, hinter denen unsere
Hunde immer wer weiß wie toll hinterherjagten, und die so
fürchterlich stanken, wenn man sie gegriffen hatte. Blindschleichen,
wir zählten sie anfangs, weil wir es noch nicht besser wußten, auch
zu den Schlangen, ließen manchmal in letzter Not ein Stück Schwanz
zurück, ebenso wie die Eidechsen. Aber in den dunklen feuchten
Gründen der Pilz- und Blaubeerwälder, mitunter sich auf Stubben
sonnend, lauerten die Kreuzottern. Die hellere Form fanden wir in
der sandigen Heide, wo sie zischend davonglitten, wenn wir ihnen
nicht aus Versehen zu nahe gekommen waren. Doch wehe, man hatte
nicht aufgepaßt und war barfuß auf sie getreten. Der Biß tat
höllisch weh, der Fuß schwoll rasch an, und Oma samt Tante und
Mutter pflegten den Patienten mit kühlenden Umschlägen, denen
allerhand Kräuter in Essig beigefügt waren, hingebungsvoll. Dann
gingen wir beim nächsten Mal vorsichtiger in den Wald, doch
versuchten wir auch immer erneut, sie mit einem langen, vorn
gegabelten Stock hinter ihrem Kopf zu fangen, denn für solch eine
Kreuzotter gab es fünfzig Pfennige. Zwar war der Biß nicht, wie
immer wieder gemunkelt wurde, tödlich, aber harmlos auch nicht. Eher
harmlos waren die Bienen- und Wespenstiche, die wir immer mal wieder
abbekamen. Bienen gab es bei mehreren
Imkern. Wenige Bauern, meistens Beamte, Eisenbahner und der
Brennermeister hielten sie in Schauern, während der Lehrer und
andere noch in Körben imkerten. Doch da die Bienenväter sich früher
nicht gern in ihre Geheimnisse blicken lassen wollten, wir Kinder
mit den „Sonnenvögeln“ auch nicht gern nähere Bekanntschaft machen
wollten, blieb uns das Wissen versagt. Den Wespen kamen wir immer
dann zu nahe, wenn wir ihre Maden aus den kugeligen Nestern im
Schuppen zum angeln brauchten. Da war dann das tagelang geschwollene
Gesicht ein sicheres Zeichen unserer räuberischen Neugier und ein
Grund für die Schadenfreude der anderen. Es könnten noch viele Tiere
genannt werden, wenn ich nur an die Käfer, Schmetterlinge, Libellen
und natürlich die Fische, Frösche und Unken denke. Wenn ich heute in mein
Heimatdorf fahre, mich dort bei meinen polnisch-ukrainischen
Imkerfreunden auf die Bank am Haus setze oder bei Spaziergängen
suchend die Natur beobachte, dann fällt mir auf, daß allenfalls die
beiden Schwalbenarten und ein paar einzelne Sperlinge das Bild
beleben. Bussarde, Falken, aber auch
Reiher und Taucher sind selten oder kaum zu sehen. Der Storch nistet wie eh und je
auf dem Mast, die Kraniche haben das große Bruch zu ihrem
Zwischenrastplatz erkoren, im Wald ließen die Förster zahlreiche
Nistkästen für Höhlenbrüter wie Meisenarten und Hohltauben
anbringen, doch die Amsel singt kaum noch, Buchfinkenschlag ist
selten zu hören, Grünfinken suche ich vergeblich, und alle die
anderen kleinen Sänger sind nur schwer zu entdecken. Sie sind selten
geworden. Lediglich Mauersegler sind jetzt in großer Zahl über dem
Dorf, denn die neuen mehrgeschossigen Betonbauten für die
Landarbeiter bieten ihnen Nistplätze. Abends fliegen kaum Fledermäuse
um die Gehöfte, die Natur macht ebenso wie das Dorf auf mich einen
verarmten Eindruck. Während auf allen Gehöften und
der Dorfstraße die zahlreichen Hunde den unwillkommenen Fremden
lauthals begrüßen, sind kaum noch Katzen vorhanden. Gibt es in dem
verarmten Dorf etwa auch keine Mäuse mehr? Kaninchen, Gänse, Puten, Enten,
Hühner, ja selbst größere Haustiere wie Kühe und Schweine sind nicht
mehr zu sehen. Welche Tiere halten heute dort die Kinder? Vermutlich
hängen sie so wie bei uns fast nur noch am Computer. Ein paar Tauben fliegen noch,
Bienen werden vereinzelt gehalten, ist das etwa alles? Nur im Wald ist reiches
Wildleben zu beobachten. Und die Fährten von Rotwild, Sauen und
Rehwild, Dachs, Fuchs und Marderhund kann man überall auf den
Jagenwegen erkennen. Oder sehe ich das jetzt
aufmerksamer als früher? Das Sein bestimme die Bewußtheit, hatte
Hegel einst festgestellt. Mit dem Alter und den
Erfahrungen ändern sich wohl der Blick und das Interesse. Hermann Löns, du hattest schon
mit sechzehn Jahren die Vogelwelt in unserem Heimatkreis Deutsch
Krone in ihrer Reichhaltigkeit, Vielfalt und Schönheit beschrieben.
Was ist davon übrig geblieben,
denke ich und suche immer wieder nach den traurigen Resten und den
Gründen dafür. Aber ich will nicht nachlassen.
Solange ich noch dorthin fahren kann, werde ich weiter suchen und
mich wohl über jedes altgewohnte, aus der Erinnerung liebgewonnene
Lebewesen wie über einen alten Freund freuen
Sie verlassen die Heimat
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Eine
besondere Ostereiersuche
Ostern in Passow Von den
Erwachsenen erinnerungsschwer erwartet, von den Kindern
hoffnungsvoll herbeigewünscht, war Ostern gekommen. Die Natur
hatte – unterstützt von herrlichem Sonnenschein – ihr schönstes
Frühlingskleid angelegt. Die Kinder freuten sich aber nicht nur
auf das Ostereiersuchen wie in jedem Jahr zuvor, doch dieses Ostern
gleich doppelt. Wo man im Garten auch hinsah, da blühte es in
zunehmender Fülle. Frühe Krokusse in ihrer blauschimmernden
Pracht, die schon bald nach dem letzten Schnee in ihrer goldgelben
Einmaligkeit fast jeden Winkel färbenden Winterlinge, dazu
Schneeglöckchen, Märzbecher und Blausterne, und dazwischen unter den
Büschen die Lenzrosen mit ihren sanften Farben, und am Gartenzaun
lockten die Forsythien. Und weil die wärmende Frühlingssonne ins
Freie lockte, waren die Kinder nach ihrer Ostereiersuche weiter im
Garten und wetteiferten im Wiedererkennen der Vögel. Die nun Tag um
Tag in immer größerer Zahl rund ums Haus in Büschen und Bäumen, ja
selbst auf dem Hausdach und den Stallanlagen zu singen begannen. Die
Amsel lockte vom Giebel – und all die anderen samt den Heimkehrern
probten ihre Stimmen. Heimkehrer meinten viele Menschen zu jenen
kleinen Sängern, die sich nun, in der wärmenden lockenden Sonne,
bemerkbar machten. Doch waren ja etliche von ihnen nie fort-,
sondern nur still und unauffällig geblieben, so wie die Amseln, die
nun den Frühling ebenso wir Drosseln und Finken einläuteten.
„Amsel, Drossel, Fink und –,“ ja, aber nur der „Und“ war über Winter
fortgewesen. Aber nach Gottesdienstbesuch, Frühstück mit
Soleiern, dieser besonderen Pommerschen Ostergabe mit dem
Meerrettich aus unserem Garten, und dem folgenden Ostereiersuchen
mit großem Hallo zu jedem gefundenen Ei, sollte es nach dem
Mittagessen mit Lammbraten für die Kinder und Eltern noch zu etwas
ganz Besonderes kommen. Nun sollte auch die Mutter, meine
fleißige Frau, ihr „Osterei“ suchen. Ich hatte lange in den
einschlägigen Geschäften gestöbert, bis ich etwas ganz Besonderes,
damals nur schwer Erhältliches gefunden und heimlich nach Hause
gebracht hatte. Was es war, wußten auch die Kinder nicht, denn
man konnte ja nie wissen, ob sie nicht – aus Versehen, oder heimlich
geplaudert hätten. Ich hatte dieses „Osterei“ heimlich in der
Küche in einem weniger benutzten Schrank versteckt. Nun hatten
unsere Drei mir begeistert bei der Herrichtung von sechs
ausgeblasenen Eiern geholfen, in deren Höhlung jeweils Zettel mit
einem ungenau angedeuteten Hinweis auf den Fundort des nächsten
„Ostereies“ steckten. Sechs besondere „Ostereier“ für unsere Mutti,
meine Frau, von denen das letzte Ei im Schrank nahe bei dem Geschenk
lag. Die anderen waren aber im Garten an den unterschiedlichsten
Stellen versteckt. Nur das „Erste“ war ziemlich leicht zu finden,
lag es doch vor der Garagentür in grüner Osterwolle. Darin befand
sich auf dem Zettel, der leicht herausguckte, ein Zettel mit dem
Hinweis, das zweite Ei könnte ja per Post gekommen sein. Auch
dieses zweite Ei fand die eifrig suchende Hausfrau bald im
Briefkasten am Gartenzaun. Noch machte die Mutter ihren Kindern
die Freude, eifrig weiterzusuchen, wenn gleich der Zettel einen
eigenartigen Hinweis auf den besonders würzigen Beigeschmack der
Soleier hatte. Soleier zum Frühstück, drei Stunden in einer Brühe
aus Wasser, Salz, Gewürzen und einem guten Stück geräuchertem
Schinkenspeck geköchelt, daß sie danach Nicht mehr eigelb,
sondern grünlich bis bläulich aussahen, welch eine Köstlichkeit,
leicht betupft mit frisch geriebenem Meerrettich. Nach einigem
Überlegen zog die Suchende in den Garten. Und richtig: Bei den
Meerrettichstauden lag Ei Nummer drei in ihren Händen. Eine gewisse
Unruhe war bei meiner Frau nicht zu übersehen, Missmut war aber noch
nicht zu erkennen. Doch auf dem Zettel schien ein merkwürdiger
Hinweis zu stehen. Sie schien zu grübeln und zum ersten Mal kam
die Aufforderung: Kinder, nun macht es mir doch nicht zu schwer, ich
habe doch bisher mehr als ihr gesucht. Auf diesem Zettel, so las
sie vor, stand ein etwas seltsamer Hinweis. Sie sollte eifrig
weitersuchen, damit das vierte Ei nicht von Nesträubern geplündert
würde. Endlich fand sie auch dieses Ei in dem Nest bei der
Astgabel des alten Birnbaumes vor unserem Haus. Doch nun wurde
die Suchende langsam ungeduldig. „wie lange soll das denn noch so
weitergehen?“, fragte sie uns. Wenn sie auch, vom Lachen der
Kinder begleitet, ihren aufkommenden Mißmut noch zu verbergen
suchte, so merkte man ihr doch an, daß es ihr allmählich zu viel, zu
bunt wurde. Im Nestei war ein Hinweis auf die schönen
Wolkenbildungen am Himmel über dem Dorf. Endlich, nach einigem
Herumsuchen, sah sie an einem Ast der blühenden Forsythien ein Ei
zwischen den Blüten hängen. Nun ist es aber genug, grollte sie,
bis sie auf dem Zettel las, dass der nächste Fundort in der Küche
sei. Na, das war doch etwas genauer, denn dort fand sie sich doch
in ihrem Reich zurecht. Bald sah sie das letzte Ei und daneben,
schön in Buntpapier eingeschlagen, das Geschenk. Die strahlenden
Augen beim auspacken der Gabe, einer modernen
Mehrzweckküchenmaschine, leuchteten lange. War das ein
Ostereiersuchen gewesen. Und wie viele Jahre haben wir alle die
Ergebnisse dieses seltenen Ostereies in Passow, unserem ersten
gemeinsamen Wohn – und Arbeitsort, zum täglichen Essen genossen!
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