Heimat Preußen

die Blume der Preußen

  Heimat zu Grass Friederike  

 

 

Heimat - Preußen

 „Amor patriae ratione valentior omni.“ Die Liebe zur Heimat ist stärker als jede Vernunft. - Ovid  Epistulae.
„Einst wird die Zeit kommen, die uns um die Freude über das Große und Schöne, das wir besaßen, beneidet.“ - Jean Paul

Es ist ein Mythos, will uns Sebastian Haffner sagen.
Und doch, je mehr der allgemeine Verfall der Werte, der Tugenden, der Begriffe Nation und Patriotismus erkennbar unsere Zukunft in Frage stellt, je mehr Markt und Profit samt ihren neuen Heilspredigern in einer sich immer rücksichtsloser vordrängenden Globalisierung alles erobern, um so deutlicher kommen Fragen.
Da kommt dann die Erinnerung an ein Preußen, dessen Name für Ordnung, Redlichkeit und Liberalität steht, plötzlich mehr und mehr in das hilfesuchende Gedächtnis zurück, trotz jener nicht nachlassenden Schreihälse, die unter dem Begriff noch immer, entgegen jeder historischen Wahrheit, nur Militarismus und Reaktion sehen wollen.
Preußen, das ist - nicht erst seit der Historikerin Mittenzwei und der Wiederaufstellung des Denkmals Friedrich des Großen unter den Linden durch Honecker - die Erinnerung an eine Zeit der Deutschen Geschichte, die immer häufiger beschrieben, immer mehr betrachtet und wie eine Hoffnung auf Rettung immer stärker gesucht wird.
Seine unbestechliche Verwaltung und seine religiöse Toleranz hatten es im achtzehnten Jahrhundert zum modernsten und bewundertsten Staat Europas gemacht.
Es starb eigentlich schon vor der französischen Revolution mit seinem Schöpfer Friedrich dem Großen,
wäre da nicht für einen kurzen, helleuchtenden Augenblick die großartige, unvergeßliche Gestalt der Königin Luise gewesen, deren Andenken bis heute unauslöschbar nachwirkt.
Das Preußen des Humanismus, der Toleranz und der wegweisenden Gesetze endete
spätestens mit der Reichsgründung 1871 entgegen dem Willen des Preußen Bismarck und wurde durch den Nationalsozialismus in den Schmutz gezerrt.
Die Hitler und Goebbels, Göring und wie sie alle hießen, die sich anmaßten, preußisch zu sein, sie waren alles andere denn Preußen.
Da half auch nicht das letzte Aufbäumen der Stauffenberg und Hardenberg, der Tresckow und Geschwister Scholl, der Schulenburg, Yorck, Moltke und Schwerin, Loebe, Kleist und wie sie alle hießen, die ihr Leben wagten, aus ihrer preußischen Grundhaltung einsetzten gegen den Wahnsinn.

 
 

Wer wissen will, was Preußen wirklich war, der kann über Blücher und Bismarck, bei Claudius und Fontane, aber auch bei Hans-Joachim Schoeps, Wolfgang Venohr und Sebastian Haffner nachlesen.

Dazu hier ein paar Hilfen:

-          Otto v. Bismarck „Lebenserinnerungen;

-          Matthias Claudius „Brief an seinen Sohn Johannes (1799)“;

-          Theodor Fontane „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“;

-          Hans-Joachim Schoeps „Preußen  Geschichte eines Staates“, „Deutschland droht die Anarchie“;

-          Wolfgang Venohr „Stauffenberg“ - und mit S. Haffner „Preußische Profile“;

-          Sebastian Haffner „Preußen ohne Legende;

 

aber auch Ernst Moritz Arndt in seiner Hoffnungsrede 1810:
„Wie vieles ist von dem geschwinden Strom der Zeit weggespült, was damals noch fest und lebendig stand.
Wie vieles heißt man uns hassen, was wir damals noch liebten. Wie vieles verachten, was wir damals ehrten. Wie vieles nichtig ansehen, was uns damals herrlich deuchte.
Wie kann das Neue sich Treue versprechen, von einem Leichtsinn, der keine Toten zu beweinen hat.
Nur wessen Herz auch noch jenseits in der Vergangenheit steht, der wird der Gegenwart redlich helfen und mutig in die Zukunft hineinstreben.
Wer Fremden nachäfft, wieweit er es auch bringe, offenbart immer eine nichtige Eitelkeit oder einen hündischen Sklavensinn.
Wie wir uns achten, werden wir geachtet werden.“

-           und viele andere Ungenannte.

 
 

„Ist Preußen Kraft einmal gebrochen“, warnte Bismarck 1866, „so wird Deutschland schwerlich dem Schicksal Polens entgehen.“ 
Helmut v. Moltke schrieb 1868:“ Wenn Preußen fällt, dann ist es vorbei mit der Deutschen Nation! Deutsche kann es dann noch geben, aber keine Deutsche Nation; nur deutsche Vasallenstaaten.“ 
Und Sebastian Haffner schreibt in „Preußische Legende“:
„So bleibt noch ein Blick auf das letzte und schrecklichste Kapitel der preußischen Nachkriegsgeschichte. (-) Nicht mehr Preußen zahlte die Zeche des verlorenen Zweiten Weltkrieges wie des Ersten;
Aber preußische Menschen taten es, die Ost- und Westpreußen, Pommern, Neumärker und Schlesier, diese Menschen gemischten deutschen und westslawischen Geblüts, die einst den Hauptteil der preußischen Volkssubstanz gestellt hatten. Sie verloren jetzt das Land, das sieben Jahrhunderte lang ihre Heimat gewesen war; erst durch Massenflucht, dann durch Vertreibung. Damit wurde dem preußischen Baum nun auch noch die Wurzel ausgerissen, nachdem die Krone längst dahin und der Stamm gefällt war. (-) Gedanken an Rache machen alles nur schlimmer. Irgendeiner muß die Seelengröße aufbringen zu sagen: „Es ist genug“. Daß sie dazu fähig gewesen sind, ist ein Ruhmestitel, den keiner den vertriebenen Preußen nehmen kann.“

 
 

Götz Kubitschek  „Preuße!  Und nun?

Thesen: eine Auswahl:

-   „Zum preußischen Typus“ wird man heute nicht mehr durch Geburt in einen Staat hinein und die daraus zwangsläufig resultierende Staatserziehung, sondern durch Wahl. Den Wahlpreußen gibt es, seit es Preußen gibt - und darüber hinaus noch immer, obwohl Preußen nicht mehr ist.

-   Der Wahlpreuße von heute hat keinen Ort mehr. In unserem Staat, der das Gegenteil von Preußen ist, kann der Wahlpreuße nicht gedeihen. Die Staatserziehung ist heute gegen den preußischen Geist und damit gegen den Staat an sich gewendet.

-   Auf Gelächter und Ohrfeigen könnte man mit Gelächter und Ohrfeigen antworten, wenn dies ausreichte, um die falschen Leute aus den würdigen Institutionen zu treiben. Aber es ist viel schlimmer: So, wie unser Staat gebaut ist, ist er kaum zu stabilisieren. In seinen Fundamenten finden sich viele Einschlüsse, die der Nation das Verderben bringen. Und er zerstört durch seine derzeitige Politik die Substanz des Deutschen Volkes, das ohne Wenn und Aber die Grundlage der deutschen Zukunft ist.“


Auch das war Preußen!

Welche Ausprägung das spezifisch preußische Ethos im langwierigen Vorgang seiner Entstehung und Popularisierung schließlich annahm, kann man einem Brief der Königin Luise an ihren Sohn, den Kronprinzen und nachmaligen König Friedrich Wilhelm IV., entnehmen:

„Höre meine mütterliche Stimme, mein lieber Fritz; bedenke das wohl, was ich Dir zärtlich so oft wiederhole; zähme die Laune, in der Du alles, was Du möchtest, haben willst und für alles, was Du Dir denkst, gleich die Mittel zur Verwirklichung verlangst. Wer Dir vorredet, dass dies Charakter, dass dies wahre Freiheit sei, ist ein Narr oder ein falscher Freund. Wirkliche Freiheit besteht nicht darin, dass man alles tun kann, was man kann, sondern dass man das Gute tut und, was man als solches erkennt. Nur durch Überlegung wirst Du zur Erkenntnis kommen, was gut oder böse; nur durch Bändigung Deines Willens wirst Du zur Ausführung des Guten kommen, selbst wenn es mit Deinen Neigungen, Deinem Geschmack, Deiner Bequemlichkeit in Widerspruch steht; und Charakter haben heißt: nach reiflicher Prüfung des Guten oder Bösen das ins Werk setzen, was man als das Gute erkennt, und alle Willenskraft daran setzen, um sich nicht durch die Leidenschaften abwenden zu lassen, die der höchsten Wahrheit des Guten widerstreben könnte.“

 Es ist möglich, dass die treue Protestantin den Brief des Pastors und Dichters Matthias Claudius an seinen Sohn schon kannte, doch scheint es wegen der Kürze der Zwischenzeit kaum wahrscheinlich. Hat doch M. C. mit Sicherheit einen so intimen, so streng privaten Brief gewiß nicht zu seinen Lebzeiten veröffentlicht. Ob die Königin die von Claudius herausgegebene Zeitschrift (Wandsbecker Bote?) kannte, ist mir nicht bekannt.

                                                                                                Wolfgang Köpp


 
 
 

Zu Grass – „Im Krebsgang“                                                                           10.02.02

Da schrieb die „Rheinische Post“, ein Blatt, das sich christlich nennt und deshalb auch dem trauernden Gedenken verpflichtet sein sollte, am 5.2.o2 ganz im Kontext mit anderen deutschen Zeitungen über die Grass-Novelle „Krebsgang“:
„Gustloff“ – Günter Grass ganz groß“.
Und brachte diese Behauptung auch noch ganz groß auf der Titelseite.
Nun pfeifen es die Spatzen seit langem von Deutschlands Dächern, wes Geistes Kind die Kulturredaktionen vieler deutscher Blätter gemeinhin beherrscht.
Und weil sie sich solange unter das arrogante Diktat eines Herrn, genannt Reich-Ranitzky, ducken mußten und – um nicht aufzufallen - mit ihm lobten und verdammten, verteufelten und seeligsprachen – und weil ihnen in ihrem vorauseilenden Kritikergehorsam dennoch unwohl war, einen verspäteten und nicht unumstrittenen Nobelpreisträger anläßlich seiner Wende-Versuche mit abzuohrfeigen, da jubeln sie nun orgiastisch auf: ihr Herr und Meister hat es ihnen – zeitweise „mit Tränen in den Augen“ – erlaubt.
„Jetzt muß Pokriefke ran“ titelt ein Feuilleton und will den zumeist unbefangenen,  vielleicht auch - auf die vom „Nobelpreis bleischwer gemachte Schreibhand“ - neugierigen Lesern einreden, Grass hätte sich – endlich, spät aber noch nicht zu spät – des Schicksals seiner Danziger und westpreußisch-kaschubischen Figuren erinnert.
Wer es nicht besser weiß, weil ihn vielleicht Geschichte nicht interessiert, oder weil er der Geschichtsschreibung eines Montgomery „Geschichtsschreibung ist der zweite Triumph des Siegers über den Besiegten“, (ja, Reich-Ranitzky darf triumphieren,) und des Walter Lippmann, der zynisch schrieb:
„Erst wenn unsere Kriegspropaganda Eingang in die ( deutschen) Geschichtsbücher gefunden hat und auch geglaubt wird, haben wir den Krieg endgültig gewonnen.“ unterlegen war, oder weil er nicht, Gottseidank nicht, zu jenen gehörte, die mit ihrer Heimat, ihrem Leben, ihrem Schicksal die Kriegsschuld Deutschlands und seiner Verbündeten bezahlen mußten, wer es so nicht besser wissen will, der geht - vielleicht, aber da muß er schon sehr „Reich–gläubig“ sein – auf den im Buch vielfach bemühten Knochenleim. Einen Leim, der benutzt wird, das Chaos der Gedanken und Sätze zusammenzuhalten. Grass hat versucht dazu beizutragen, daß so ein Versuch nicht ganz umsonst war, das zeigt der Beifall des Kritiker-Götzen Reich. Und mit der einer zweifelhaften Person übertragenen Erklärung, daß es ein bodenloses Versäumnis seiner Autoren-Generation gewesen sei, das Elend der ostpreußischen Flüchtlinge nicht beschrieben zu haben, will er sich und seine Erinnerungs- „Novelle“ (!) wenn auch spät (vor dem Nobelpreis ging das ja nicht), aber gleichsam ehrenrettend, zum literarischen Denkmal erheben. Er leugnet damit gleichsam die Existenz der Arbeiten von Heinz Schön, von denen er abgekupfert hat, wo und wie es nur ging.
Und:  jede kleine Geschichte der Miegel, jedes ihrer Gedichte atmet mehr Erinnerung, ist mehr große Literatur über diesen einen, dem Untergang geweihten deutschen Volksstamm. Und da sind außerdem ja noch Siegfried Lenz, Walter Kempowski. Aber da gehen ja noch mehr unter, nachdem sie ein furchtbares Schicksal aus ihrer Heimat vertrieb und Millionen von ihnen ermorden oder umkommen ließ. (Die Pommern, Schlesier, Sudetendeutschen z.B.). Die Geschichte der „Gustloff“ könnte als Mahnmal dienen für alle, übrigens auch für die von dem Tschechen Zeman erst jüngst als Vaterlandsverräter mit der Todesstrafe bedrohten leidgeprüften Sudetendeutschen, wenn sie nicht auf so makabre Weise als Mittel zum Zweck mißbraucht würde.
Um eine späte literarische Aufarbeitung, gar um Bewältigung der Vergangenheit geht es Grass?

Nein!

Allenfalls merkt er – spät, zu spät -, daß – weil seinesgleichen aus Angst, nicht nobelpreiswürdig zu gelten, aus Furcht, nicht p.c. genug zu erscheinen – andere, ebenso Zweifelhafte (denn ob rechtsradikal oder linksextrem bleibt sich im Ergebnis gleich), daß diese braunroten Nachläufer sich an dem furchtbaren Thema hochziehen, ihr postnazistisches oder altstalinistisches Mütchen kühlen.

 
 

Und so flüchtet er, mal Kaschube – ohne von den Kaschuben anerkannt zu sein wie ein Bergengruen, mal Danziger, ohne bei denen eine Heimat zu finden,(zu viel Geschichtsklitterung trommelte aus dem Blech), mal Weltbürger – zumeist aber heimatloser Geschichtsstromer, so flüchtet er sich in die Auseinandersetzung mit den virtuellen Ewiggestrigen einer Januskopf-Seite.
Da er, der „Vergangenheitskrämer“, nun mit Macht Vergangenheit bewältigen will – sogar Nemmersdorf läßt er kurz aufflammen und stöhnen und kann sich dabei doch nicht von seinen Mordrufkollegen Ehrenburg, Scholochow und Alexej Tolstoi abwenden – also bedient er sich eines der furchtbarsten unter den grauenvollen Schicksalen des Untergangs: der „Wilhelm Gustloff“.
Vielleicht hat ihn wie viele Ältere auch, das Getue und Geseiere um diese bonbonsüße, operettenhafte „Titanic-Schmiere“ angewidert. Vielleicht aber sieht der Wahlhelfer Grass angesichts des seit längerem schwelenden, nun mit Slowenien und Afghanistan neu aufflackernden Vertreibungsthemas und der schamlosen Drohungen von tschechischer Seite die Möglichkeit, das Wählerpotential Vertriebene samt Nachkommen auf die Grass-Seite zu ziehen.
Dann ist ihm beides mißlungen.
Gelungen ist ihm das Wohlwollen eines selbsternannten Literaturpapstes zu erschreiben.
Der, aus welchen Gründen immer – und darüber wird ernstlich nachzudenken sein – kann sich an mancher Stelle „ der Tränen nicht enthalten“.
Wo bloß, fragt man sich, nachdem man, zweifelnd – verzweifelnd, in der Hoffnung, daß da etwas Wahres an den Vorschußlorbeeren zur Vergangenheitsbewältigung dran sei, Seite um Seite nachgesucht hat.
Oder hat Reich-Ranitzky Tränen fließen lassen auf den Überresten des Denkmals, als die Schüsse wegen bloßer Spucke fielen?
Hat er vielleicht auch in der Erinnerung späte Tränen der Reue über sein Handeln in Kattowitz ausgedrückt, Tränen der Erleichterung möglicherweise, daß diese Folter- und Mordgeschichte nicht (noch nicht) literarisch bewältigt worden ist?
Was wird wirklich beschrieben?
Ein alter Versager, der gern Schriftsteller sein möchte.
Beinahe weimernd schwankt er so holpernd durch die Geschichte wie der Literaturversuch auch.
Eine alte Frau wird mit ihrer Sprache zum Popanz gemacht. Und damit das auch richtig hängen bleibt, ist sie das Abbild aller alten, erinnerungsschwachen, natürlich revanchistischen Flüchtlinge und Vertriebenen. Und weil von denen die meisten in der SBZ, danach DDR hängen geblieben sind – ja, vielleicht wollten sie aus einer schwer nachlassenden Hoffnung auf Rückkehr nicht so weit von der Heimat zwischenhausen – vielleicht teilten sich damals schon die „ Bodenständigen“ und die „besseren Deutschen“ – und weil sie, ganz im Gegensatz zu ihren Landsleuten in den alten Bundesländern, weder von Flucht und Vertreibung reden durften, sie waren ja Umgesiedelte, da wurden sie nach Grass allmählich „Rote“, Stalinisten, die wenn nötig, ihre Schwestern und Brüder im Westen ebenso als Revanchisten beschimpfen mußten, wie es linke Schreiberlinge dort ungestraft tun durften.
Die hier und da als notwendige Füllsel benutzten Zeitzeugnisse werden entweder dem virtuellen Sumpf entnommen – ohne bezweifelt zu sein – oder stammen von jenen nimmermüden Sammlern historischer Daten und Fakten, ohne die Erinnerung reine Emotion bliebe oder als böswillig Ewiggestriges abgetan würde.
Ein Jugendlicher muß für alles herhalten.

 
 

Da kommt der Herr Nobelpreisträger einmal in die Nähe der Wahrheit und zum Gegenstand einer möglichen Novelle – obwohl es an sich nicht Neues ist.
Entweder zur FDJ wie vorher zur Hitlerjugend, oder im scheinbar demokratischen Durcheinander der Ziel- und Haltlosigkeit, dem teuflischen Januskopf von Geld und Ideologie ausgeliefert, flüchtet er sich, anders als der haltlose Vater und die emanzipiert-linke Erzieherin, in die stille Opposition des Einzelgängers.
Wie alle Jugend will er wissen. Doch das lauthals Angebotene macht ihn mißtrauisch.  
Zu sehr ist er von väterlicher Bodenlosigkeit und mütterlicher Scheinseitigkeit verstoßen.
Bleibt für ihn die Großmutter, interessant, neugierweckend weil Unerwünschtes glaubhaft wiederholend, im Enkel hoffend, wo der Sohn versagte, und er nutzt die neue Technikwelt zur Kommunikation.
Was dabei rauskommt, brauchen wir nicht bei Grass nachzulesen.
Das können wir in aller bodenlosen Vielfalt  erschreckend oder amüsiert, abstoßend oder interessiert heute über unsere Enkel erleben.
Und da längst nicht alle Jugendlichen der Wegwerf- und Spaßgesellschaft verfallen sind, nur die Schwachen  (wie bei Schiller) sich rechtsradikal oder linksextrem – oder wie immer – zusammenrotten, halbstark, schwach im Geiste aber hemdsärmelstolz, da bleiben ein paar, etliche, vielleicht mehr als wir denken, zugeben wollen, übrig, die Fragen stellen, weil sie sich mit unseren mittlerweile ach so politisch korrekten Ansichten nicht zufrieden geben können, noch wollen. Und weil Grass am Ende Recht behalten muß, findet sein Sohn, der Unverstandene, Ungeliebte natürlich zu ihm (endlich zu „Vati“) und zertritt das Symbol seiner Jugend wie seiner Not.
Was bleibt übrig?
Ein holperndes Geschreibsel, neudeutsch, ausgerechnet von Herrn Reichel gelobt. Ehrt das den Günter Grass? Vielleicht läßt dieses Scheinbild deutscher Sprache deswegen das Handlungsmotiv schwer erkennbar hintersinnig sein.
Der Flucht und Vertreibung wurde hier nicht gedacht, am allerwenigsten der Opfer.
In meiner unmittelbaren Nähe wohnen zwei  stille, sehr in sich gekehrte, noch immer nicht phantomschmerzfreie Schwesternpaare, die den Untergang des Flüchtlingstransporters überlebten.
Wie soll ich denen den Hintersinn eines Buches erklären, das sie mehr beschimpft und als mitschuldig erklärt, denn ihr Schicksal betrauert?
Was sollen jene Vertriebenenwaisen aus Ost- und Westpreußen, so klein sie damals auch gewesen sind, so sehr anderes ihr Erinnern überdeckte, von solcher „Vergangenheitskrämerei“ denken?
Da bleiben nur Agnes Miegel und ihre Erinnerungen:

 
 

Es war ein Land

O kalt weht der Wind über leeres Land,
O leichter weht  Asche als Staub und Sand!
Und die Nessel wächst hoch an geborstener Wand,
Aber höher die Distel am Ackerrand!

Es war ein Land – wo bliebst Du, Zeit?
Da wogte der Roggen wie See so weit,
Da klang aus den Erlen der Sprosser Singen
Wenn Herde und Fohlen zur Tränke gingen,
Hof auf, Hof ab, wie ein Herz so sacht,
Klang das Klopfen der Sensen in heller Nacht,
Und Heukahn an Heukahn lag still auf dem Strom
Und geborgen schlief Stadt und Ordensdom –
In der hellen Nacht –

                                   Der Johannisnacht!

 Es war ein Land – im Abendbrand
Garbe an Garbe im Felde stand.
Hügel auf, Hügel ab, bis zum Hünengrab
Standen die Hocken, brotduftend und hoch,
Und drüber der Storch seine Kreise zog.
So blau war die See, so weiß der Strand
Und mohnrot der Mond am Waldesrand
In der warmen Nacht –

                                      Der Erntenacht!

Es war ein Land – der Nebel zog
Wie Spinnweb, das um den Wacholder flog.
Die Birken leuchteten weiß und golden,
Und korallen die schweren Quietschendolden,
Die Eicheln knirschten bei Deinem Gehen
In den harten Furchen der Alleen.
Ein Stern nur blinkte, fern und allein,
Und du hörtest im Forst die Hirsche schrein
In der kalten Nacht –

                                  Der Septembernacht!

Es war ein Land – der Ostwind pfiff,
Da lag es still wie im Eis das Schiff,
Wie Daunen deckte der Schnee die Saat
Und deckte des Elches verschwiegenen Pfad.
Grau fror die See an vereister Buhne
Und im Haff kam Fischer und Fisch zur Wuhne.
Unter warmem Dach aus Stroh und Ried
Klappte der Webstuhl zu altem Lied:
    „Wi Beid’, wi sönn noch jong on stark,
    Nährn ons möt eigne Hände –„

Es war ein Land – wir liebten dies Land –
Aber Grauen sank drüber wie Dünensand.
Verweht wie im Bruch des Elches Spur
Ist die Fährte von Mensch und Kreatur – .

Sie erstarrten im Schnee, sie verglühten im Brand,
Sie verdarben elend in Feindesland,
Sie liegen tief auf der Ostsee Grund,
Flut wäscht ihr Gebein in Bucht und Sund,
Sie schlafen in Jütlands sandigem Schoß –
Und wir Letzten treiben heimatlos,
Tang nach dem Sturm, Herbstlaub im Wind –
Vater, Du weißt, wie einsam wir sind!

Nie zu klagen war unsere Art,
du gabst und Du nahmst – doch Dein Joch drückt hart!
Vergib, wenn das Herz, das sich Dir ergibt,
Nicht vergißt, was es zu sehr geliebt,
Was Gleichnis uns war – und noch bleibt im Leid –

Von Deines Reiches Herrlichkeit!

O kalt weht der Wind über leeres Land,
O leichter wehr Asche als Staub und Sand,
Und die Nessel wächst hoch an zerborstener Wand,
Aber höher die Distel am Ackerrand!


Dr. Wolfgang Köpp

 
 

Ein notwendiger Nachsatz vom 12. Erntemond 2006, nachdem Grass „scham- und reuevoll“ bekannte, zur Waffen SS gehört zu haben.
Nun kam es doch noch aus ihm gebrochen.
Ist es wirklich Wahrheitssuche, späte „Reue“ oder will er sich noch einmal - ein letztes Mal vielleicht - interessant machen?
Oder war das die letzte und zugleich beste Gelegenheit, das Buch gut zu verkaufen?
Immerhin konnte dieser selbsternannte Großinquisitor am deutschen Gewissen sich wohl nicht vorstellen, daß er selbst eines Tages von seinen, von ihm gezüchteten und an die Medienfront gesandten „Dominikanern“, den „Hunden des Herrn“, an den Pranger gestellt und gebissen werden würde.
Nun kommt es ans Licht. Hatte er seine Deutschstunden vergessen:“ Die Sonne bringt es an den Tag“, daß er verleumdete, wenn andere seiner gefallenen Kameraden wie in Bitburg gedachten.
Warum fällt mir außerdem die patho-physiologische Ähnlichkeit seines Verhaltens zu dem der Hitler, Bormann, Heidrich und der anderen Mordgesellen ein, die sich des scheinbaren Makels ihrer jüdischen Herkunft bewußt, mit Wut, Blut und Mord dagegen vorgingen?
Kam auch bei Grass der Meinungsterror samt seinem Hass gegen die Vertriebenen, kam sein unentwegtes „In den Staub treten“ der Deutschen, die Verdammung zum ewigen „Betroffensein“, die unentwegte Aufforderung zum „Kriechgang“ aus ähnlicher Haltung?
Was andere lange vor ihm - Wolfgang Venohr z.B. - ehrlich bekannten, sich rückhaltlos stellten, aber ihre Vergangenheit und ihre wie sie irrenden Kameraden samt dem Andenken auch nicht fortwarfen wie einen lästigen Handschuh, das wirkt nun bei Grass nur noch erbärmlich.
Hatte da etwa irgendwer aus der ewig suchenden Schar irgend etwas entdeckt, was der hehren Gestalt des unermüdlichen Mahners, dieses „Gewissens der Nation“ schaden konnte - und der ist rasch noch vorausgeeilt, hat gleisnerisch bekannt:  Asche aufs Haupt und Jugendsünde? Macht sich ja gut und appelliert an das Mitleid, bevor es durch Mißgünstige ans Licht der Sonne kommt!
Und gleich finden sich auch noch eilends ein paar neue Historiker, die umgehend bescheinigen, wie unschuldig der Jüngling in einer unschuldigen Einheit dieser „ansonsten Verruchten“ notgedrungen gedient, keinen Schuß abgefeuert, folglich ganz - „dies Kind, kein Engel ist so rein“ - gewesen sein muß.
Wolfgang Venohr - drehe dich im Grabe um falls Grass kommt, damit du diese Erbärmlichkeit nicht siehst, geahnt hast du sie mit uns wahrscheinlich schon lange.
Und in Polen? Da ist man nicht über die „späte Reue“ empört, sondern darüber, daß einer von sich aus jung und begeistert zur Wehrmacht oder Waffen-SS gehört hatte. Die Wahlen samt den wühlenden und hetzenden Zwillingen lassen grüßen!
Nun warten wir nur noch auf die Tränen des Herrn Reich. Schwer, dick, alle vermeintliche Scham benetzend, werden sie auf diesen Heuchler fallen und ihn reinzuwaschen versuchen.

Und wehe euch, wenn ihr es wagen solltet!

 
 
 
 

Friederike“ von Preußen  in ARTE und ARD  Januar 2012

Der Film ist eine Persiflage und offensichtlich – schon durch die Wahl einer Schauspielerinnen-Sippe für Friedrichs Gestalt – auch darauf angelegt. Hatten sie sich gar in wachsender Selbstüberschätzung darum beworben?
Wieder bewahrheitet sich das alte Wort: „Sagt, gibt es noch ein Land außer Deutschland, wo man die Nase eher rümpfen lernt als putzen.“
Warum fühlt man sich veralbert?
Als umgekehrtes Analogon zu den Kastraten, die Frauenrollen spielten, will man hier wohl trotz besseren Wissens auf die angebliche Homophilie des Alten Fritz anspielen.
Ein Historiker gar entblödet sich nicht!  Man kann es ja immer mal wieder versuchen.Vielleicht findet man ja beim jüngeren Publikum – zumeist  von ordentlicher Geschichtskenntnis ungetrübt – bereitwillig Gläubige.
Und die Thalbachs als „Friederike“?
Sie sind, besonders die Mutter, ein Witz in Hosen und diese scheint sich sogar ernst zu nehmen.
Wieviel Ähnlichkeit kommt da zum Vorschein, wenn man an Schlingensiefs und anderer Regisseure  nur noch peinliche Versuche denkt!
Und die Handlung?
Nicht sein Volk, sondern die anderen nannten ihn zuerst französisch. Sein Volk, besonders die Berliner, nannten ihn nach dem  2.Schlesischen Krieg den „Großen“.Hier wird eine komische Figur wie von einer komischen Alten vorgespielt. Wie schlimm muß es da um seine Gegner bestellt gewesen sein.
Der Vater – in völliger Verkennung oder sogar bewußter Mißachtung seiner Leistungen, ohne die Friedrichs spätere Erfolge kaum denkbar gewesen wären – wird ausschließlich als Hohn- und Spottfigur durch den sprichwörtlichen Kakao gezogen und hatte doch das kleine Preußen ohne Krieg aber mit allgemeiner Schulpflicht und einem soliden Staatshaushalt übergeben.
Doch das zu zeigen, könnte ja den Zorn heutiger Volksvertreter wie Wulff und Konsorten auslösen. Die vielen Soldaten halfen ohne Krieg, jedes Gelüste der Nachbarn abzuschrecken. Si vis pacem, para bellum! Daß zudem das von seinen Gegnern immer wieder gern verleumdete und nun zuletzt verbotene Preußen die wenigsten Kriege geführt hat, wird bewußt verschwiegen.
Und die preußischen Tugenden? Alles, nur das nicht zeigen, es könnte im Volk Fragen aufwerfen.
In diesem Machwerk glaubt ein selbstherrlicher, reichlich von sich überzeugter „Historiker“ Preußen auf seine neudeutsche Sichtweise a la Habermas erkennen zu müssen. Warum erinnert mich das an den Wippermann der FU Berlin, der unlängst zu lesen war mit der Behauptung, daß Kinder ihre faschistischen Eltern daran erkennen könnten, daß die von ihnen Sauberkeit und Ordnung, Pünktlichkeit und Gehorsam fordern! Also preußische Tugenden! Friedrichs Preußen war vom III. Reich und Hitler so weit entfernt wie das Flötenkonzert von Sans Souci vom Horst-Wessel-Lied!
Das wohl gewollte Durcheinander der Handlungen entspricht dem Ganzen und wird durch die nuschelnde Thalbach noch unterstrichen.
Allein durch die geliebte Schwester wird diese „Friederike“ bildlich erhöht.Doch das, was die vorgezeigten Historiker im Film über Friedrich bemerken, kann diese „Friederike“ nicht zeigen.
Zudem wird die Geschichte Preußens auf lächerliche Äußerlichkeiten beschränkt.
Warum kommt einem bei dem Machwerk der Gedanke, daß hier krampfhaft versucht wird, die Sehnsucht der Deutschen nach einer Politik der Verläßlichkeit, nach Tugenden, nach moralischer Sauberkeit der Politiker, nach Ordnung im Staatshaushalt lächerlich zu machen?
War auch das einer der Gründe, warum die Alliierten 1947 den Staat Preußen auslöschten, nicht zuletzt in der Hoffnung, mit ihrer eigenen Geschichte nicht weiter konfrontiert zu werden?
Man braucht sich doch unsere gegenwärtigen Volksvertreter nur anzusehen, um zu erkennen, wieviel Unähnlichkeit mit dem wahren Preußen heute das Bild beherrscht. Hat deswegen Frau Merkel, wie zu hören war, das Bild der Russin Katharina statt das der Königin Luise auf ihrem Schreibtisch?
Der Regisseur – und die Thalbach – und die Stückeschreiber hätten besser Joachim Fernau gelesen, um über den Gegenstand ihrer ausgerechnet dem 300. Geburtstag gewidmeten Alberei besser vorinformiert gewesen zu sein.
Vielleicht glaubt diese Aktrice sogar, einem Otto Gebühr noch gleichzukommen? Doch da fehlt ihr vor allem eins: Kenntnis der tatsächlichen Geschichte, Patriotismus (den sie bei Polen, Franzosen, Engländern, Russen  und zahllosen anderen Nationen lernen könnte) und Glaubwürdigkeit, worin auch Würde steckt.
Schlesien, auch das muß gesagt werden, war nicht das Recht des Räubers, sondern Friedrich nahm sich entsprechend damals allgemein üblicher Gepflogenheiten  vermöge ungeklärter, jedoch Preußen zuneigender Erbfragen das Recht heraus. Daß es ein anfangs so kleiner und unbedeutender König tat, war in den Augen der großen Nachbarn eine Frechheit.
Die Geschichte hat ihm Recht gegeben und außerdem Schlesien von einem armseligen, ausgebeuteten österreichischen Anhängsel zu einer reichen preußischen Provinz wachsen lassen.
Solange die „Friederike“ nicht im Bild erscheint, mag manches noch großzügig nachvollziehbar sein. Sie ist, wie eine junge Schriftstellerin mir dieser Tage schrieb, „eine eindeutige Fehlbesetzung und wurde schon in besseren Rollen gesehen“
Auch wenn man ihr verkrampftes Bemühen sieht (hat sie vielleicht doch Bauchschmerzen angesichts ihrer Zumutung?), bleibt es eine Schmierenkomödie peinlichster Art.
Daß ihr in den Szenen nach dem Krieg das Gesicht der Überanstrengungen und schwersten Belastungen eines früh gealterten Königs und tatsächlichen Feldherren fehlt - welcher König arbeitete nach den Kriegen frühmorgens ab Vieruhrdreißig an seinen für die damalige Zeit wegweisenden, beispielhaften Reformen - ist nicht allein ihre Schuld. Wie hatte einmal Peter Hacks erklärt: „Wozu habe ich Regisseure, sollen sie sich doch etwas einfallen lassen“.
Blickt man der „Friederike“ ins Gesicht, dann hat man vielleicht  noch Mitleid  mit der Thalbach. 
Friedrich der Große war in Preußen bei dem kleinen Mann nicht zuerst wegen seiner Siege hoch geachtet, sondern weil er danach dieses Preußen gefestigt hatte, Ordnung schuf, das Allgemeine Preußische Landrecht  als ein Vorbild für die Welt einführte und seinen Einwohnern Ordnung, Zuversicht, Leben und Brot gab.
Wie wäre es denn gewesen, man hätte einige dieser Handlungen und deren Folgen für Preußen gezeigt!
Seine Inspektionsreisen durch Pommern und Ostpreußen, Schlesien und die Kurmark, seine unnachsichtige Härte gegen jeden Versuch von Korruption und Schlendrian zeigten einen Menschenfeind? Der seine Bauern nicht verhungern ließ, der nicht nur das Flötenspiel, die Philosophie, seine Windhunde liebte, sondern Gesetze erließ, die sein Land fortschrittlicher sein ließen als alles ringsum!
Aber die heute regierende politische Korrektheit läßt wohl dazu keinen Zugang finden.

Cui bono – Frau Thalbach, Regisseure und  - -?

Wieviel näher an der Wahrheit, wieviel  zeitgerechter, realer, ernster war dagegen der ebenso konzipierte Film über die Königin Luise, und um wieviel mehr geeignetere, historisch fundierte Berater hatte der zur Hilfe.Vielleicht war Frau Thalbach sogar der Überzeugung, das Beste zu tun, doch wie im Falle Kunersdorf blieb lediglich eine Spottfigur auf dem Platz. Schon so mancher Schauspieler litt an Selbstüberschätzung, wenn er auf der Bühne für sich hinstarb, und er hat dergestalt sich und das Spiel ad absurdum geführt. So bleibt mir zum Schluß nur das Wort eines der wenigen echten Preußen nach Friedrich, Bismarck: „ Die Neigung, sich für fremde Nationalitäten und Nationalbestrebungen zu begeistern, auch dann, wenn dieselben nur auf Kosten des eigenen Vaterlandes verwirklicht werden können, ist ein politische Krankheit, deren geographische Verbreitung sich leider auf Deutschland beschränkt.“
Gehen Sie getrost in diesem Jahr nach Potsdam und schauen Sie den Menschen, die nach dort wallfahren, aufs Maul und ins Herz, Frau Thalbach. Und lesen sie in stiller Stunde den Hans-Joachim Schoeps über „Preußen“. 

                                                                                        Wolfgang Köpp

 
     
     
 

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